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Normale Version: Fallbericht: Infektion des Gehirns mit mehreren Borrelienarten
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Ein tragischer Fallbericht aus Tschechien


Zitat:Gleichzeitige Infektion des menschlichen Gehirns mit mehreren Arten von Lyme-Borreliose-Spirochäten

Abstract:Es ist bekannt, dass Spirochäten der Lyme-Krankheit (LD) in der Lage sind, sich im Gewebe infizierter Wirte, einschließlich des Menschen, zu verbreiten. Zu den verschiedenen Strategien, die Spirochäten anwenden, um das Immunsystem des Wirts zu umgehen und im Wirt zu überleben, gehören aktive Immunsuppression, Induktion von Immuntoleranz, Phasen- und Antigenvariation, intrazelluläre Abgeschiedenheit und vor allem das Eindringen in immunprivilegierte Bereiche wie das Gehirn. Das Eindringen in immunprivilegierte Bereiche wie das Gehirn ermöglicht den Spirochäten nicht nur die Flucht vor dem Immunsystem des Wirts, sondern kann auch die Wirksamkeit einer Antibiotikatherapie verringern.
Hier stellen wir einen Fall vor, in dem die DNA von Spirochäten des Borrelia burgdorferi sensu lato-Komplexes an mehreren Stellen im postmortalen Gehirn eines LD-Patienten nachgewiesen wurde. Das Vorhandensein einer Koinfektion mit Borrelia burgdorferi sensu stricto und Borrelia garinii im Gehirn des LD-Patienten wurde durch PCR bestätigt. Das Vorhandensein einer atypischen Spirochätenmorphologie wurde durch immunhistochemische Untersuchungen der Gehirnproben und auch in Geweben von Versuchsmäusen bestätigt, die durch gleichzeitige subkutane und intraperitoneale Injektion von Spirochäten mit Borrelien infiziert wurden. Obwohl beide Spirochätenarten gleichzeitig im Gehirn vorhanden waren, waren die Gehirnregionen, in denen die beiden Arten nachgewiesen wurden, unterschiedlich und überlappten sich nicht.


Triggerwarnung!
Hintergrund:
Der Verstorbene infizierte sich mit 8 Jahren mit Borreliose (Wanderröte und nicht dokumentierte antibiotische Behandlung). Danach litt er weiterhin unter neurologischen Beschwerden insbesondere kognitiver Art wie Brainfog, verminderter psychomotorischer Leistungsfähigkeit und Schwierigkeiten bei der Konzentration und der Verarbeitung von visuellen und auditiven Reizen. Mit 21 wurde er in der Neurologie untersucht mit positiver Serologie IgM und IgG, aber negativem PCR in der Lumbalpunktion. Anschließend wurde er stationär in der Psychiatrie behandelt. Ein Jahr später ließ er sich in einer Privatpraxis erneut untersuchen mit grenzwertigem IgM und stark positivem IgG Elisa und wenigen Banden (OspC im IgM und grenzwertigem VlsE im IgG), Tests auf einige Co-Infektionen waren negativ. Er wurde mit Mino, Azi und Hydroxychloroquine behandelt. Später wurde er erneut stationär in der Psychiatrie behandelt und mit einem schizotypen und somatomorphen Zustand diagnostiziert und nach 3 Wochen entlassen. Im August beging der junge Mann im Alter von 23 Jahren Suizid. In einem Abschiedsbrief wünschte er, dass sein Gehirn nach seinem Tod auf Borrelien analysiert wird, was die Studie initiierte.
Post-Mortem fand man im Blut bzw. CSF  Spuren von Hydroxychloroquin und Azithromycin, sowie Psychopharmaka. Der Versuch der Borrelienkultur blieb negativ, jedoch wurden die Borrelien durch die erwähnten Tests nachgewiesen.

Link zum Volltext:
https://www.biorxiv.org/content/biorxiv/...9.full.pdf
Die Studie wurde inzwischen publiziert und verbreitet sich etwas stärker: https://www.mdpi.com/1422-0067/24/23/169...tndIqpzFSk

Kurze Ergänzung:
Bei der Autopsie wurden auch zystische Formen von Borrelien gefunden. Die atypischen Spirochätenmorphologie die in den Gehirnproben gefunden wurden, ähnelten den bei mit Amoxicillin oder Doxycyclin behandelten Labor-Kulturen. Das Fazit der Autoren legt nahe, dass es sich dabei um Persisterformen (evtl. Mikrokolonien von Biofilmen?) handeln könnte, auch wenn dies nicht explizit so gesagt wird. Diese sollen laut IDSA-Vertreter ein reines Laborphänomen sein, welche in vivo bei Patienten durch die natürliche Immunantwort keine Rolle spielen und schon gar nicht bei PTLDS-artigen, unspezifischen Beschwerden...
Gruselig...
was für ein verlorenes Leben.
Hier findet sich ein Video zu einer Präsentation zu Persisterformen von einer der beteiligten Wissenschaftlerinnen, in welchem sie u. a. auch auf den Fallbericht eingeht, der zu dem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht war.

Die Proben waren wohl in keinem guten Zustand, weshalb man auch überrascht war, so fündig zu werden. Das könnte natürlich auch die Kultur stark beeinflusst haben.

Zu den atypischen Spirochätenmorphologien im Gehirn sagt sie, dass das genauso aussah, wie bei Alan MacDonald, Monica Embers, Eva Sapi, Judith Miklossy. Also andere, die in Gehirnproben nach Borrelien gesucht haben. Das konnte auch im Mausmodell reproduziert werden. Ergänzend hierzu geht sie auch kurz auf die Chance von Therapien für Borrelien-Persister ein.
https://www.youtube.com/watch?v=MKpwgn7vGxk
Die Geschichte des jungen Manns ist bitter und  traurig. Mit seinem letzten Wunsch hat er die Borrelioseforschung weiter gebracht.

In dem Video erläutert die Autorin, Dr. Natasha Rudenko, die Unterschiede zwischen aktiven Zellen, Biofilmen und Cysten Formen. Diese Ruhestadien unterscheiden sich auch in ihren Proteingehalten und der Aktivitäten ihrer Gene. "Persister" hat man schon in den 1940er Jahren bei Streptokokken unter Penicillin-Behandlung festgestellt, dabei wurden 99% getötet, 1 % überlebten. Diese waren aber nicht resistent, sondern wurden nur aufgrund ihrer Ruheform nicht angegriffen, bei erneuter Aktivität waren sie genauso empfindlich.

Rückfälle von Borreliose nach Antibiotika-Behandlung müssen daher keine Neu-Infektion sein, sondern können auf solche Persister zurückgehen.

Man muss sich erstmal in den tschechischen Akzent reinhören, nicht ganz einfach.

Aus der genannten Veröffentlichung fand ich noch interessant:
Im Allgemeinen erfolgt die Verbreitung von Spirochäten über den Blutkreislauf, wo die Spirochäten für kurze Zeit verbleiben, bevor sie in die extrazelluläre Matrix verschiedener innerer Organe wandern, wo sie vor dem Immunsystem des Wirts und Antibiotika geschützt bleiben können. ...Man mnimmt an, dass die Ausbreitung ins zentrale Nervensyxtem entlang der peripheren Nerven erfolgt. Und dass verschiedene Borrelien-Arten oder Stämme unterschiedlich stark die Fähigkeit haben, das Nervensystem zu besiedeln.
Der Mechanismus, wie die Blut-Hirn-schranke überwunden wird, ist noch unklar. Ob Borrelien durch direkte Transmigration in das Gehirn gelangen oder wie bei anderen Krankheitserregern mithilfe des „Trojanischen Pferds“-Mechanismus versteckt in nicht phagozytierenden Leukozyten über die Blut-Hirn-Schranke transportiert werden, ist noch nicht bekannt.
Im Tierversuch konnte man aus infizierten Maus-Hirnen Borrelien anzüchten, wärend das Blut nicht infektiös war. Bei dem jungen Mann gelang das nicht, vielleicht weil er erst 2-3 Tage nach seinem Suizid untersucht wurde. Die PCR-Nachweise der beiden Borrelienarten B. burgdorferi s.str. und B. garinii waren von verschiedenen getrennten Stellen im Gehirn.