Der Brief für Annette ist fertig.
Wir haben 8 Unterschriften zusammenbekommen. Das ist schon richtig gut.
Da ich es nicht schaffe, den Brief als link hiereinzustellen, kopier ich ihn einfach.
Dabei kann es passieren, dass sich die Form verschiebt.
Der Brief ist aber im Original richtig gesetzt.
Adressen und Aktenzeichen hab ich in dieser Kopie rausgenommen.
Die Gesprächsauszüge mit dem Gutachter sind im Original kursiv gesetzt.
C/O
Klaus Kolbe
4.2.2014
Zur Kenntnis:
Landgericht HannoverLandgericht Hannover
19. ZivilkammerPräsident des Langerichts
Vors. Richter Herr SchulzHerr Dieter Schneiderwind
Kanzlei Ziegler
z.Hd. Herrn Dr. Ziegler
Stellungnahme zur Gerichtsverhandlung über eine Arzthaftungsklage
23.1.2014, 13.00 Uhr,
Sehr geehrter Herr Schulz,
wir, die Unterzeichner dieses Schreibens, haben an der o.a. Verhandlung teilgenommen.
Da wir nicht aus Neugier anwesend waren sondern als Betroffene mit ähnlichen Erfahrungen wie die Klägerin, leiden wir doch wie sie ebenfalls seit Jahren an der Multiorganerkrankung einer chronischen persistierenden Borreliose, möchten wir Ihnen gerne ein Feedback zu Ihrer Verhandlung übermitteln.
Im Anschluss an die Verhandlung hatten wir übereinstimmend folgenden Spontaneindruck:
> der Nachweis einer fehlerhaften Behandlung durch die Ärztin drehte sich fast
ausschließlich um die Frage, ob die Zeit zwischen Eingang der Laborbefundes
und dem Behandlungsbeginn 10, 12 oder 14 Tage betragen habe und
> ob sich diese Zeitspanne ursächlich als fehlerhafte ärztliche Behandlung
mit der Folge gesundheitlicher Nachteile für die Klägerin feststellen lasse.
> Sozusagen als Nebenkriegsschauplatz wurde eine Diskussion über die
Anwendbarkeit der sogenannten S1-Leitlinie für die Behandlung einer
Neuroborreliose angestoßen bzw. zugelassen.
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Wir, die Unterzeichner, hatten zuvor weder Einblick in die Klageschrift noch in sonstige Prozessakten. Uns war nach Schluss der mündlichen Verhandlung vollkommen unverständlich, dass ein versierter Anwalt einen Prozess um Arzthaftung begründet haben sollte mit einem um 10 oder 12 Tage verzögerten
Behandlungsbeginn, wenn andererseits die Infektion mit Borrelien zu diesem Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits 9 Monate zurücklag und die Borreliose längst in ein chronisches Stadium übergegangen war.
Erst nach Kenntnissnahme der Klageschrift sowie weiterer Prozessakten ist das Drama dieser mündlichen Verhandlung einzuordnen.
Ein Deutschlehrer hätte, wäre diese Verhandlung als Aufsatz zu beurteilen gewesen attestiert:
„Thema verfehlt! Setzen! Ungenügend!“
Waren doch in dieser Verhandlung so gut wie gar nicht
> die 11-seitige Klageschrift des Anwalts Ziegler vom 21.5.2012,
> die ebenfalls 11-seitige Replik des gleichen Anwalts auf das oberflächliche
und z.T. fehlerhafte Gutachten des Allgemeinmediziners Franke vom
9.8.2013
> oder die ebenfalls 11-seitige Entgegnung der Klägerin zum Schreiben des
gegnerischen Anwalts vom 7.11.2012
Gegenstand der Erörterung.
Pars pro toto:
> allein die Tatsache, dass die behandelnde Ärztin in den Monaten Juli 2006 bis
Februar 2007 auf Grund des klinischen Befundes auch nicht annähernd auf
die Idee kam, eine Borreliose in Erwägung zu ziehen, zumal sie wusste,
dass die Klägerin in einem Waldkindergarten arbeitete,
> dass Sie dann im chronischen Stadium der Borreliose Doxycyclin verordnete,
ein Medikament das ausgewiesenermaßen nur zu Beginn einer Infektion mit
Borrelien angebracht ist,
> dieses Medikament dann noch untertherapiert, d.h. nicht dem Körpergewicht
der Patientin angepasst verordnete und
> schließlich auch nicht im Blutspiegel überprüfte, ob die Dosierung
gewährleistet, daß die Spitze des Blutspiegels sich in der Mitte zwischen 10
und 20 mg/l einpendelt (Burrascano)
beweist, dass ihre Kenntnisse über eine sorgfältige Borreliosetherapie sich nicht nur in Grenzen halten, sie vielmehr mit dieser Art unvollständiger oder falscher Behandlung der Chronifizierung einer Borreliose weiterhin Tür und Tor öffnet.
Nach der Verhandlung ergibt sich ein längeres Gespräch Zuschauer – Gutachter.
Zitiert nach Gedächtnisprotokoll:
Zuschauer: „Ist von der Ärztin damals Doxycyclin eigentlich gewichtsadaptiert gegeben worden?
Gutachter, mit erstauntem Blick: „Ich wusste gar nicht, dass man das soll.“
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Zuschauer: „Naja, in der Veterinärmedizin ist das selbstverständlich. Stellen Sie sich vor, ein Chihuahua bekommt die gleiche Dosis wie ein Neufundländer.
Dazu kommt, dass borrelioseerfahrene Humanmediziner die sogenannte minimale bakteriostatische Serumkonzentration des Doxycyclin im Blut ermitteln, um zu sehen, ob die verordnete Dosis überhaupt wirksam ist.“
Das war dem Gutachter vollkommen unbekannt.
Zuschauerurteil: Ein echter Experte also.
Die Erfahrungen aller anwesenden Borreliosekranken laufen darauf hinaus, dass bei der Therapie ihrer eigenen Infektion die gleichen ärztlichen Fehler
schon fast als therapeutische Normalität zu verzeichnen sind:
zwei Drittel aller Erkrankten warten 2 Jahre und länger von der Infektion bis zur Diagnose und Therapie. Sie suchen in dieser Zeit durchschnittlich 8 (acht!)
Ärzte auf, bis die treffende Diagnose gestellt wird (borreliose-nachrichten.de). Vielfach wird dann nach der Faustformel 200 mg Doxy für maximal drei Wochen untertherapiert und so durch falsche Behandlung einer chronische Borreliose der Weg bereitet.
Dies ist nur ein Punkt, der es Wert gewesen wäre, differenziert behandelt zu werden. Ein Dutzend weiterer Aspekte ließen sich mühelos belegen, würden aber die Zielvorstellungen dieses Schreibens überfordern.
Nur ein weiteres Beispiel: eine Impfung in eine bestehende Infektion ist überall in der Medizin eine Sache des Abwägens:
„Gegen eine Impfung sprechen z.B. akute behandlungsbedürftige Erkrankungen.“ (Kassenärztliche Bundesvereinigung).
Für die behandelnde Ärztin und den Gutachter scheint diese Einschränkung nicht zu gelten. Laut Gutachteräußerung während der Verhandlung wäre es eine Überforderung, jeden Patienten auf behandlungsbedürftige Krankheiten hin abzufragen.
Weshalb allerdings der Anwalt der Klägerin aus der Anwaltskanzlei Ziegler die auf 33 Seiten fixierten Argumente seiner eigenen Kanzlei auch nicht ansatzweise zum Gegenstand der Diskussion machte, entzieht sich unserer Kenntnis.
Statt einer differenzierten, der komplexen Erkrankung angemessener Erörterung werden fast ausschließlich die z.T. hanebüchenen Argumente des Gutachters aufmerksam betrachtet und gewendet.
(„Würden Sie denn sagen, dass das Verhalten der Beklagten fehlerhaft oder grob fahrlässig war?“ - „Naja, fehlerhaft war das vielleicht schon irgendwie, aber nicht grob fahrlässig.“ - Diktat fürs Protokoll: „Das Verhalten der Beklagten war nicht grob fahrlässig.“)
Mit dieser Art der Beweisführung kann ich auch beweisen, dass – pardon -
Schweine fliegen können.
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Auch die länger dauernde Diskussion über die Nützlichkeit oder Anwendbarkeit der sogenannten S1-Leitline war in diesem Zusammenhang nicht zielführend, existiert diese Leitlinie für Neuroborreliose doch erst seit dem Jahre 2008.
Übrigens: der Anwalt der Klägerin bemerkt während der Verhandlung auch diesen Lapsus nicht und schweigt.
Nach der Verhandlung ergibt sich ein längeres Gespräch Zuschauer – Gutachter.
Zitiert nach Gedächtnisprotokoll:
Zuschauer: „Wieso werden die S1-Leitlinien für Neuroborreliose plötzlich auf eine Lyme Borreliose als Beweis für richtige Behandlung angewandt? Der Laborbericht aus 2007 spricht von ener „frischen“ Lyme Borreliose.“
Gutachter: Ja, hier geht einiges durcheinander, alles etwas unlogisch hier.“
Sehr geehrter Herr Schulz, Sie haben sich vielleicht mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass die Diskussion um Diagnose und Therapie in den USA, in Europa, in Deutschland (siehe „Zeckenkrieg“) von zwei „Lagern“ beherscht wird (vgl. die Synopse der MedRIC-Foundation, die Ihnen vorliegt):
„Lager A“ behauptet wider alle Erfahrung von hunderttausenden mit Borrelien infizierten Menschen, dass nach einer längstens 4-wöchigen Antibiose mit
200 mg Doxycyclin keine Borrelie überlebt haben kann und sich demzufolge auch keine chronische Borreliose entwickeln kann.
Noch vorhandene Beschwerden werden dann als somatoforme Störung oder psychogene Erkrankung, als Fibromyalgie oder MS, als Chronic Fatique Syndrome oder allgemein als Hypochondrie o.ä. etikettiert.
Nicht selten erfolgt schließlich die (in der Regel sinnlose) Überweisung zu einem Psychiater oder der Aufenthalt in einer psychsomatischen Klinik.
Dass diese apodiktische Aussage die Würde der oft schwer erkrankten
Menschen verletzt, scheint den Apologeten dieses Lagers nicht bewußt oder gleichgültig zu sein.
Nach der Verhandlung ergibt sich ein längeres Gespräch Zuschauer – Gutachter.
Zitiert nach Gedächtnisprotokoll:
Im Verlauf des Gespräches wiederholte der Gutachter, dass die Behandlung der Ärztin mit Antibiotika vollkommen ausreichend gewesen sei.
Gutachter sinngemäß: „Eine tägliche Infusionstherapie, die manche Ärzte bei Borreliose verabreichen, dient doch wohl eher einer optimalen Zuwendung zum Patienten, als dass sie eine adäquate Behandlung ist. Außerdem ist das eine gute Einnahmequelle der Kollegen.“
Abschließende Konsequenz des Gutachters: „Ich werde es mir dreimal überlegen, noch einmal ein Gutachten in einem solchen Fall zu erstellen.“
Recht hat er.
Ärztliche Verteter des „Lagers B“ diagnostizieren und therapieren die Borreliose nach vorliegenden klinischen Symptomen.
Die Grundüberzeugung, dass eine chronische Borreliose mit derzeitigen Mitteln nicht leicht heilbar ist und die wiederholte Gabe von Antibiotika zumindet vorübergehend die vielfachen Symptome soweit lindern können, dass ein gelegentlich beschwerdefreies Leben möglich ist, ist für diese Ärzte Leitschnur des Handelns.
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Eine oberflächliche Behandlung des Themas in einer mündlichen Verhandlung
führt in aller Regel zu dem von vielen Betroffenen erfahrenen und erlittenen Teufelskreis:
Im Zusammenwirken von einseitigen Gutachtern aus dem Umfeld des „Lagers A“, die im Regelfall alle Beschwerden der Betroffenen negieren, sie jedenfalls nicht ursächlich einer Borrelioseinfektion zuordnen oder eine Borreliose speziell in diesem Fall oder generell verneinen und einem Richter, der den Ansichten dieses Gutachters kritiklos folgt, bewirkt, das kaum ein an Borreliose erkrankter Mensch vor deutschen Gerichten gerecht behandelt wird.
Der Gutachter Franke argumentiert konkludent im Sinne des „Lagers A“.
Fairness im Verfahren würde nunmehr gebieten – sofern sich das Gericht dem Gebot der Wahrheitsfindung verpflichtet fühlt – nunmehr einen Gutachter des „Lagers B“, also einen wirklich Borreliose erfahrenen und somit in diesem Prozess kompetenten Gutachter zu benennen.
Damit wäre die Waffengleichheit zwischen den Parteien wieder hergestellt.
Herr Schulz, mit Spannung erwarten wir alle Ihren für den 17. Februar avisierten Richterspruch.
Dann wird sich entscheiden, ob Sie die Pessimisten unter uns bestätigen.
(„Der handelt wie alle anderen: Sachverhalt einseitig darstellen, Gutachter bestellen, der wenig bis keine Ahnung, aber feste Überzeugungen hat, mündliche Verhandlung, in der auf keine der wesentlichen Fragen eingegangen wird, Ablehnung der Klage, flambiert mit der Attitüte des Bedauerns – alles wie immer.“)
Aber vielleicht werden ja auch unsere Optimisten bestätigt.
(„Eigentlich machte er den Eindruck, die Wahrheit herausfinden zu wollen.
Jedenfalls hat er oft genug Blickkontakt zu dem Anwalt der Klägerin gesucht, es schien so, als hätte er ihn gerne zum Verbündeten gehabt.
Schade nur, dass dieser Anwalt total unvorbereitet oder uninformiert und damit ein glatter Ausfall war – er hätte das Bemühen um Wahrheitsfindung effizient unterstützen können.“)
Herr Schulz, wir alle warten auf Ihr Urteil.
Mit freundliche Grüßen
Unterschriften