(28.12.2016, 14:46)zenf schrieb: ...
gerhard ist doktor der mikrobiologie (nicht arzt), war lange in der forschung in den usa
und mit dem thema wohl vertraut.
Das stimmt nicht ganz. Exakt bin ich Diplom-Biologe (Fachrichtung Mikrobiologie) und Dr. rer. nat. (Biochemie), "fühle" mich aber mehr zur Mikrobiologie als zur Biochemie hingezogen.
Ich habe weder praktisch mit Borrelien gearbeitet noch war ich in der mikrobiologischen Diagnostik tätig. Deswegen bitte ich um Verständnis, wenn ich nicht auf Anhieb exakt plazierte Fragen zu Borreliendiagnostik beantworten kann und mich in bestimmte Aspekte erst einlesen muß.
Meine Interessenschwerpunkte liegen in der Physiologie und Molekulargenetik grampositiver Bakterien (wobei ich sicher Hunderte von Western-, Southern- und Northerns selbst durchführte), in der vergleichenden Analyse bakterieller Genome mittels Bioinformatik und in bakterieller Taxonomie. Erst als Kumpel zenf im Herbst 2016 mit der möglichen Diagnose "Borreliose" konfrontiert wurde (darüber soll er selbst mehr erzählen), habe ich mich näher mit Borrelien beschäftigt. Wir haben erkannt, daß Vieles hier gewaltig schiefgelaufen ist, immer noch schief läuft und wir uns engagieren müssen.
(29.12.2016, 11:34)Regi schrieb: ....
Obwohl VLSE nur in vivo exprimiert wird,
...
LG, Regi
Das ist formal nicht ganz korrekt. Es muß heißen: vlsE nur in vivo exprimiert. Warum? Es gibt ein Regelwerk zur Schreibweise von bakteriellen Genen und Proteinen in Fachartikeln, das in den "Anleitungen für Autoren" der Fachzeitschriften zu finden ist. Diese Nomenklatur wurde 1966 erstmals in Grundzügen vorgestellt
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1211113/
und ist heutzutage allgemein akzeptiert.
http://www.biosciencewriters.com/Guideli...Names.aspx
Kurz gefaßt lauteten die Regeln:
- Die Namensbezeichnungen bakterieller Gene (meist vier Buchstaben) werden kursiv gesetzt, der Anfangsbuchstabe und die beiden folgenden werden klein geschrieben, der vierte groß.
- Die Namensbezeichnungen bakterieller Proteine werden in Normalschrift gesetzt, wobei der Anfangsbuchstabe in Großbuchstaben, die beiden folgenden klein und der vierte wieder groß geschrieben werden.
Leider wird diese Nomenklatur von den Laborärzten bzw. von den in den Labors verwendeten Softwarepaketen nicht generell unterstützt, diese schreiben "VlsE" zeitweise korrekt, zeitweise falsch ("VLSE").
Siehe auch:
https://en.wikipedia.org/wiki/Gene_nomenclature
Weil es gerade hierher paßt: Weitere Regeln zur Schreibweise in Fachartikeln:
- Alle lateinischen Ausdrücke (in vivo, in vitro, sensu lato usw.) sowie die Gattungs- und Artnamen von Lebewesen werden kursiv geschrieben.
- Beim ersten Erscheinen des Namens eines Lebewesens wird dieser vollständig geschrieben, bei folgenden Erwähnungen wird nur der erste Buchstabe des Gattungsnamens verwendet, der Artname vollständig geschrieben. Also: Beim ersten Auftreten der Art Borrelia burgdorferi wird der Name vollständig geschrieben, im weiteren Text steht dann B. burgdorferi.
- Ist auf dem verwendeten System keine Kursivschrift vorhanden (z.B. Schreibmaschine), so wird alles, was kursiv geschrieben werden soll, unterstrichen (z.B. in Dissertationen der 70er Jahre).
(29.12.2016, 11:34)Regi schrieb: Es freut mich ausserordentlich, dass Forscher den Weg ins Forum gefunden haben. Ich muss ehrlich gestehen, dass mich die Technik weniger interessiert als die Aussagekraft.
Im Zusammenhang mit Borreliose-Serologien habe ich folgende Frage:
Obwohl VLSE nur in vivo exprimiert wird, werden entsprechende Western Blot-Ergebnisse von den Labors nicht als aktive Infektion interpretiert. Warum? Besteht auch beim VLSE die Möglichkeit, dass sie nur eine Seronarbe nachweisen? Wie lange dauert es im Maximum, bis VLSE-"Antikörper" bei nicht mehr aktiver Infektion abgebaut sind?
Wie siehts so bei der Forschung nach besserer Diagnostik aus? Sind irgendwelche Projekte in der Pipeline? Insbesondere interessiert mich Diagnostik aus leicht zu entnehmenden Proben (z.B. Urin, Blut) zum direkten Nachweis von Borrelien oder deren "Stoffwechselprodukte", die eine aktive Infektion beweisen könnte. Die ganzen indirekten Tests sind ja bekanntlich für den Müll. Da kann ich mir genauso gut die Karten lesen lassen. Der ganze Evidenzschrott in den Leitlinien steht und fällt mit einer zuverlässigen Diagnostik. Da fühle ich mich, ehrlich gesagt, von der Forschung total im Stich gelassen.
LG, Regi
Ich habe intensiv bei PubMed nach Ursachen gesucht, wieso eine positive VlsE-Bande allein nicht krankheitsbeweisend sein soll; eigentlich sollte VlsE ein guter Kandidat sein, wie beispielsweise aus dieser Arbeit hervorgeht.
http://cid.oxfordjournals.org/content/53/6/541.long
Kannst Du mir bitte eine Quelle für die Aussage (" werden entsprechende Western Blot-Ergebnisse von den Labors nicht als aktive Infektion interpretiert") nennen? Ich würde dann die dort zitierte Literatur durchschauen und vielleicht eine Antwort finden. Die weiteren Fragen zu VlsE kann ich noch nicht beantworten; da brauche ich noch etwas Zeit zum Nachlesen
Ich stimme vollkommen mit Dir überein, daß das gegenwärtige serologische zweistufige Testsystem mit ELISA und anschließendem Westernblot unzureichend ist. Dieses System geht von einem Patientenidealbild aus unter der Maßgabe, daß das Immunsystem jedes Menschen in gleicher Weise auf eine Borrelieninfektion zu reagieren habe. Es negiert die Möglichkeit der Erregerpersistenz, die Immunevasionsstrategien der Borrelien und die Individualität ("genetische Prädisposition") des Patienten im Allgemeinen und die Individualität des jeweiligen Immunsystems im Besonderen. Ich glaube, verbesserte Diagnose und Therapie der chronischen Borreliose könnte ein Paradigma für die sogenannte "personalisierte Medizin" werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Personalisierte_Medizin
Vor ein paar Jahren ist in der molekularbiologischen Forschung das -omics-Zeitalter angebrochen. Fortschritte in der Computertechnik und im Bau analytischer (Groß)-Geräte (DNA-Sequenzierer, verschiedene Spielarten von Spektrometern, Durchflußzytometer etc.) haben diese Fortschritte ermöglicht. Die Suche nach geeigneten alternativen Borreliose-Biomarkern in Körperflüssigkeiten hat gerade begonnen: Es gibt erste Arbeiten, die sich mit den Unterschieden im Metabolom (die Gesamtheit aller möglichen unterschiedlichen Stoffwechselprodukte) von Gesunden im Vergleich zu Borreliosekranken beschäftigen. Hier ein Übersichtsartikel zum Stand der -omics-Technologien bei Borreliose:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27900646
Allgemeines zum Metabolom:
https://de.wikipedia.org/wiki/Metabolom.
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Ronald Davis, ein Stanford-Professor für Genetik, dessen Sohn an ME-CFS erkrankt ist, hat mit Hilfe seiner Stanford-Kollegen ein beispielloses Forschungsprogramm zum molekularen Verständnis der Krankheit ME-CFS auf die Beine gestellt. Ein kurzer Film über die Familie Davis:
https://www.youtube.com/watch?v=si_JJf-SVnQ
Hier ein Überblick über die Tests, die an einer kleinen Anzahl (ich glaube es waren zwanzig) schwerkranker ME-CFS zur Zeit durchgeführt werden:
http://www.openmedicinefoundation.org/ph...-of-tests/
Da manche Borreliosepatienten auch an ME-CFS erinnernde Symptome entwickeln, hofft er, daß Ergebnisse aus diesem Forschungsprogramm auch bei einer Untergruppe von Borreliosepatienten hilfreich sein könnten:
http://www.openmedicinefoundation.org/wh...nitiative/
Die ersten Ergebnisse des Programms kamen aus der Metabolomforschung:
http://www.openmedicinefoundation.org/ex...ics-study/
Ich wünsche mir eine ähnlich umfangreiche europäische Studie an Borreliosepatienten, die sich notwendigerweise mit den in Europa vorherrschenden Borrelia-Stämmen beschäftigen muß. Ich hoffe inständig, daß ein ähnlich einfacher Test zur Infektion mit Borrelien entwickelt werden kann, wie er zum Test auf Helicobacter pylori existiert.
https://de.wikipedia.org/wiki/Atemgastest
(01.01.2017, 07:53)urmel57 schrieb: Meine Neugierde in 2017 konzentriert sich auf die Frage, inwieweit nicht in vitro anzüchtbare Borrelienstämme mit diesen Methoden überhaupt nachweisbar sind und wie man das validieren will...
Die isolierten IgM mit OspC / p41 werfen da große Fragezeichen auf. Vielleicht wird 2017 diese Geheimnis mal wirklich gelüftet?
Mi besten Grüßen fürs Neue Jahr
Urmel, das derzeit nicht auf dem Eis sitzt.
Ich bin mir nicht sicher, die Frage richtig verstanden zu haben. Deswegen antworte ich in zwei Varianten.
1) Du meinst mit den von Regi angesprochenen Biomarkern? Der sichere Nachweis eines Zusammenhangs kann nur in Kombination mit neuen Erkenntnissen zur Physiologie von Borrelien oder Menschen erfolgen, d.h. entweder produzieren die Borrelien Biomarker, die normalerweise nicht vorhanden sind oder die Anwesenheit von Borrelien im Körper induziert (Konzentrationserhöhung) bzw. reduziert (Konzentrationserniedrigung) die Produktion des entsprechenden Biomarkers, wobei ein positiver Nachweis natürlich besser ist als ein negativer. Der physiologische Hintergrund des Atemgastests bei einer Helicobacter-Infektion beruht darauf, daß das Bakterium mit Hilfe des Enzyms Urease Harnstoff im Magen (ich weiß auch nicht, wie dieser dort hinkommt) in Ammoniak und Kohlendioxid spaltet, um sich im sauren Milieu des Magens mit Hilfe des Ammoniaks eine kleine alkalische Insel zu schaffen. Eine ähnliche physiologische Erklärung müßte sich auch für einen potientiellen, durch den Metabolismus der Borrelien in vivo produzierten Biomarker für Borrelieninfektionen finden lassen.
2) Oder gibt es tatsächlich nicht kultivierbare Borrelienstämme, die mit serologischen Methoden nachgewiesen werden sollen? Dann hätten wir das Problem, daß keine nativen Antigene für ELISA/Westernblot zür Verfügung stehen. Wenn man sich nicht auf Kreuzreaktionen verlassen will, müßte man, sofern die DNA-Sequenz des nicht kultivierbaren Borrelienstammes bekannt ist, die Gene für potientielle Antigene über PCR klonieren und rekombinant exprimieren. Die DNA-Sequenzierung aus einzelnen Zellen nicht kultivierbarer Mikroben ist seit einigen Jahren Routine, siehe z.B.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22890147
Bitte gib mir eine Quelle, was Du mir den Fragezeichen bei OspC, p41 und IgM meinst, ich verstehe die Anspielung nicht.
Ich merke schon, ich werde in einigen Punkten (insbesondere VlsE) bei meiner Antwort nachbessern müssen. Das hängt auch davon ab, welche Reaktionen ich von Euch bekommen werde und auf welche Literatur Ihr mich aufmerksam machen werdet - wie gesagt, ich bin kein Borrelien-Experte.