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27.10.2013, 11:55
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 27.10.2013, 20:10 von
Oolong.)
Über die Jahre mußte ich lernen, die Krankheit in mein Leben einzubeziehen, es funktioniert nicht, nur in schweren Phasen krank zu sein über die Tage und in den besseren Phasen so zu tun, als wäre nichts. Ich habe mich jahrelang verbogen und gemüht, wider besseres Wissen, "einen auf gesund zu machen", wenn es mir phasenweise besser ging. Es gab verschiedene Gründe dafür, ich wollte mir z.B. nichts anmerken lassen, weil ich Fragen nach dem Befinden damit recht gut vermeiden konnte. Für meinen Lebensgefährten war jede Krankheit eine Willenssache, er hat mich trotz meiner Anstrengungen, mir nicht viel anmerken zu lassen, als Ballast abgeworfen, ich könnte hier viel schreiben ...
Nun habe ich meinen Tagesablauf so auf meine Möglichkeiten eingestellt, daß jeder Tag viel Ruhe, aber auch genügend Abwechslung bringt und ich selbstständig leben kann. Und ich habe mich "frei geboxt", um Akzeptanz zu bekommen, wenn es mir nicht gut geht.
Diese klaren Verhältnisse nach außen und nach innen sind wohl meine Grundlage, Freude am Leben zu haben. Zuerst muß ich in meiner Mitte sein, dann fügen sich alle Beschwernisse besser zusammen, als wenn ich mich verbiege, vor anderen und vor mir selbst.
Keiner von uns hat sich die Krankheit ausgesucht - und wenn es nun schon so ist, ist es ein Teil unseres Lebens. Akzeptieren und dagegen angehen, nicht hineinfallen lassen und jammern. Und wenn es gar nicht anders gehen will, dann auch mal jammern oder etwas an die Wand schmeißen. Wenn der Rest der Familie das begriffen hat, ist es dann richtig gut.
Mir ist eine Situation sehr in Erinnerung, die ich vor meiner Diagnose in einer psychosomatischen kleinen Klinik in Dresden erlebte, ich war dort sehr lange und unter relativ angenehmen Umständen mit viel Freiraum.
Zur Therapie gehörte es, sich in verschiedenen Materialien auszudrücken, z. B. sich zu malen, "Ich male mich". Ich habe ein Pferd gemalt, ein stämmiges Arbeitspferd mit schwerem Schritt und hängendem Kopf, was zuerst als Provokation gesehen wurde, man erwartete ein Selbstportrait. Aber ich sah mich als Arbeitspferd, das alles stemmt, was von ihm erwartet wird, und da ging manch anderem Teilnehmer ein Auge auf.
Dann sollte man sich in Knetmasse ausdrücken. Ich habe einen Klumpen Knete geformt, eine große Vertiefung hinein gedrückt und fertig. Dann wurde gefragt, was das soll, ich war ja zu schnell fertig. "Das ist mein hineingedrückter Schmerz, den werde ich jetzt an die Wand werfen", das verstanden alle, und mir hat es geholfen. Diese bildhafte Sprache macht einem vieles klar und kann helfen, mit seinen Nöten umzugehen.
Psychotherapie als begleitende Maßnahme kann ganz gut sein, solange man nicht unter Erwartungsdruck gestellt wird.
Euch alles Gute, die Oolong.
Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheit bei,
als alle Kunst der Medizin.
Wolfgang Amadeus Mozart