14.03.2017, 18:35
(14.03.2017, 12:56)Katie Alba schrieb: Hallo Philipp und herzlich willkommen im Forum
Wow, du hast ja wirklich toll und systematisch alles aufgearbeitet.
Was die Differentialdiagnostik angeht, bin ich überfragt, ob da noch etwas fehlt, da können einige andere aber sicher was zu sagen.
Liebe Katie, vielen Dank für die ausführliche und aufschlussreiche Antwort! Das einigermaßen zu strukturieren hat mich aber wirklich Zeit und viel Aufwand gekostet, ich bin mittlerweile kognitiv so eingeschränkt...
Ansonsten kommen mir deine Symptome sehr bekannt vor (und endlich Verstärkung für unsere POTS-Fraktion hier im Forum, yeah!).
Ich bin sehr froh, dass du systematisch an die Sache rangegangen bist und viel hast abklären lassen, denn du könntest mit deiner Symptomatik jetzt auch jahrelang in irgendwelchen Syndrom-Foren rumdümpeln, z.B. in einer POTS-Gruppe. Ich habe auch POTS bekommen (8 Wochen nach einem Zeckenstich) und habe beim vielen Lesen in POTS-Gruppen festgestellt, dass Borreliose als POTS-Ursache regelrecht abgewehrt wird (man wird teilweise auch aus den Gruppen geschmissen), obwohl ganz offensichtlich in den Gruppen so viele betroffen sind. Ich habe mal in der allergrößten amerikanischen POTS-Gruppe eine Umfrage gemacht zu Ursachen und Borreliose landete trotz der ganzen Ignoranz auf Platz 2!!!
Unter Ärzten (selbst unter den Spezialisten) gibt es für POTS gar keine Ursache, da wirst du niemanden in Deutschland finden, der nach POTS-Ursachen sucht.
Wenn du gut englisch kannst, so möchte ich dir das Kapitel zu POTS im Buch "Why can't I get better" von Dr. Richard Horowitz nahelegen. Wie kein anderer schafft er es, die Zusammenhänge mit der Borreliose aufzuzeigen (hormonelle Veränderungen, Autoantikörper) und zu zeigen, wie massiv das autonome Nervensystem betroffen ist.
Übrigens ist völlig unklar, ob POTS bei den Borreliosepatienten wirklich durch Borreliose oder durch eine Co-Infektion ausgelöst wird (z.B. Bartonellen). Es lohnt sich in jedem Fall, alle Co-Infektionen gründlich abzuchecken.
Als Neuroborreliose gilt POTS offiziell übrigens auch nicht, die Diagnose Neuroborreliose ist ja auch so eng gehalten, dass möglichst niemand sie bekommt. Von einer Liquorpunktion würde ich übrigens dringend abraten.
Wahnsinn wie viele Infos und Zusammenhänge ich alleine von Dir hier innerhalb eines Tages erläutert bekommen habe... Z.B. wäre eine meiner nächsten Fragen gewesen was ihr über eine Liquorpunktion denkt? Der Arzt der den ELISPOT Borrelien in Auftrag gegeben hat empfiehlt mir eine in einer Klinik meiner Wahl. Ich wüsste nichtmal welche Klinik in meiner Nähe das auch umfangreich untersucht. Er ruft mich spätestens morgen an und ich frage dann was der Mehrwert an Informationen dadurch wäre und ob diese Diagnostik mögliche Therapieschemen beeinflusst oder ob man nicht lieber gleich mit liquorgängigen Antibiotika behandeln sollte.
Ich stoße leider mit meinen Eigenrecherchen langsam an meine Grenzen, auch weil mein Zustand eher schlechter wird.
Übrigens wirst du vielleicht finden, dass POTS inzwischen als Autoimmunkrankheit gehandelt wird, da inzwischen diverse Autoantikörper (gegen adrenerge Rezeptoren, gegen muskarine Acetylcholinrezeptoren usw) gefunden wurden bei POTS - z.B. an den Rezeptoren, die für Herzschlag oder Gefäßverengung zuständig sind.
Wenn es aber eine Autoimmunreaktion wäre, dann ließe sich POTS meiner Meinung nach bei so vielen nicht positiv durch Antibiotika beeinflussen und durch Immunsuppressiva (z.B Cortison) nachhaltig verschlechtern. Deswegen glaube ich eher, dass es Zeichen einer aktiven Infektion ist, vielleicht ist auch durch die Infektion diese autoimmunartige Reaktion getriggert worden. In jedem Fall würde ich an deiner Stelle umgehend anfangen zu behandeln. Und niemals bei Borreliose immunsuppressiv (z.B. Cortison) behandeln lassen!
Gut zu wissen, Danke!
An der Charité wurden bei dir bestimmt auch Autoantikörper erhoben, würde mich sehr freuen, wenn du uns hier das Ergebnis berichten würdest.
Leider war ich an einem Dienstag dort, und das Blut für diese Analyse wird laut der Ärztin nur Mittwochs in der CFS Sprechstunde abgenommen. Sie sagte aber, dass Sie in ihrem Befundbericht Ende März ggf. diese Untersuchung nachträglich empfiehlt. Ich kann das Blut auch bei einem Arzt in der Nähe abnehmen lassen und in das Labor (irgendwo in Brandenburg oder?) schicken lassen. Würdet Ihr das machen? Bringt mir das Wissen über das Vorhandensein der Autoantikörper gegen das vegetative Nervensystem viel in Hinblick auf Therapien?
Meine nun über 3 Jahre andauernden POTS-Recherchen haben mir gezeigt, dass in sehr vielen Fällen dass POTS bei angemessener und möglichst frühzeitiger antibiotischer Behandlung völlig verschwindet, ebenso wie die anderen Symptome. Du bist ja zum Glück im Vergleich sehr früh dabei und hast bei guter Therapie denke ich sehr gute Chancen.
Ich würde mir an deiner Stelle einen guten Spezi suchen, der die restlichen Co-Infektionen untersucht und dir einen Therapieplan erarbeitet. Mit dem Therapieplan würde ich zum Hausarzt gehen und um Unterstützung bitten. Leider sieht die bittere Realität so aus, dass die meisten Borreliosepatienten ihre Therapien selbst bezahlen müssen, weil die Ärzte sich nicht trauen, aggressive Antibiotikatherapien zu verschreiben - sie können es aber machen, wir haben Behandlungsfreiheit in Deutschland. Ich würde auf alle Fälle alles versuchen, den Hausarzt oder einen anderen Arzt ins Boot zu holen, damit du möglichst viele Kassenrezepte bekommst. Es lohnt auch oft ein offenes Gespräch, wo man dann schauen kann, inwieweit man es aufteilen kann (ein Teil privat zahlen). Leider ist die Situation so dramatisch, das man inzwischen froh sein muss, überhaupt noch Privatrezepte zu bekommen.
Ich hätte mich hier früher anmelden solle. Solche konkreten Vorschläge für das weitere Vorgehen ermutigen total und geben den Antrieb der mir mittlerweile fehlt. Genauso wollte ich es nun probieren! Ich habe viel nach Spezialisten gesucht (in Hamburg haben mir 2 Ärzte erst für Anfang Mai Termine geben können, so lange kann ich nicht mehr warten) und bin dann auf ein Labor in Süddeutschland gestoßen dessen Chef einen seriösen Eindruck auf mich macht und offenbar auch Vorträge auf Fachkonferenzen hält und publiziert. Der legt auch Wert auf die Diagnose der Coinfekte!
Da kann ich nun Anfang April oder mit Glück diesen Freitag hinfahren, mit ihm meine ganze Krankengeschichte durchsprechen und entscheiden was alles untersucht werden soll (alle in Frage kommenden Co-Infekte die noch nicht abgeklärt wurden und auch noch ein ELISPOT Borrelien etc.)
Meine persönliche Erfahrung ist, dass Infusionen SEHR viel effektiver sind. POTS und CFS sind sehr schwere Krankheitsausprägungen, du musst dir klarmachen, dass dein gesamtes autonomes Nervensystem betroffen ist. Davon abgesehen hast du ja noch andere schwerwiegende Symptome darüber hinaus. Das ist also ein ganz anderer Schweregrad, als wenn z.B. durch die Borreliose lokal begrenzt ein Gelenk befallen ist. Es sozusagen nicht ein Reifen kaputt, sondern der gesamte Motor.
POTS-Therapien (viel trinken, viel Salz, Beine trainieren, Stützstrümpfe) bedeuten immer, ein Auto mit kaputtem Motor per Hand anzuschieben, mehr nicht.
Kaputter Motor, genauso fühle ich mich auch und ganz genau die POTS Therapie die Du nennst hat mir im Januar ein Neurologe nahegelegt. Hat mir echt wenig geholfen bisher, das ist wie das kaputte Auto mit dem kleinen Finger anzuschieben...
Ich kann meinen Alltag kaum bewältigen, brauche immer Pausen und habe fast alle Symptome auch in völliger Ruhe. Arbeiten geht 3-4 mal pro Woche für ca. 4 Stunden pro Tag und da leiste ich höchstens 30% von dem was ich gesund geschafft habe. Es geht nicht mehr lange so weiter. Das mit dem POTS scheint bei mir ziemlich variabel zu sein. Im Dezember war es ganz heftig mit dem Pulsanstieg, so wie in meinem Ausgangspost beschrieben. Mittlerweile hat sich zumindest das etwas beruhigt. Der Puls geht nicht mehr oft auf 120 hoch beim Aufstehen. Ich glaube das kann auch mit dem Pregablin/Pregabalin zu tun haben das ich noch nehme und nun langsam absetze. Das soll den Noradrenalinausstoß regulieren und kann somit Einfluss nehmen. Aber keine Ahnung, da stoße ich an meine Grenzen. "Benommenheitsschwindel", Schwarzwerden vor Augen etc. habe ich so gut wie immer beim Aufstehen und ersteres auch immer im Sitzen/Liegen
Deswegen ist meine Erfahrung, dass die Therapie bei so einem Schweregrad sehr beherzt sein muss. Mit ein paar Doxy-Tabletten wirst du da nichts reißen.
Wenn irgendwie möglich, würde ich an deiner Stelle Infusionen haben wollen, notfalls mithilfe einer Picc-Line. Die Antibiotika-Behandlung hätte für mich die alleroberste Priorität, denn du hast jetzt noch die Chance, dein Leben zurückzubekommen. Die hohen Kosten für eine jetzt notwendige Antibiotikabehandlung sind nichts im Vergleich zu der Armut, in die man bei einem schweren chronischen Verlauf rutscht (ich bin übrigens genau so alt wie du).
Das spreche ich direkt so an bei der Laborsprechstunde vor der Blutabnahme mit der Bitte meinem Hausarzt nach Eintreffen der Ergebnisse eine auf mich zugeschnittene, "beherzte" Antibiotikatherapie zu empfehlen. Ich hoffe das funktioniert so. Ich habe aber echt Bedenken vor Langzeitantibiosen und war immer abgeschreckt vor diesen Langzeitprotokollen (Wheldon, Stratton?)
Bei mir ist im Vergleich zu deiner Geschichte alles schief gelaufen, trotz bekanntem Zeckenstich keine Borreliosediagnose, stattdessen Cortisonbehandlung mit massiver Verschlechterung, Borreliosediagnose erst nach einem Jahr, dann aber Co-Infektionen nicht mituntersucht. 6 Monate rein orale Antibiose mit ungenügendem Darmschutz, daraufhin massive Darmprobleme. Unter wenigen Infusionen innerhalb von 3 Monaten fantastische Verbesserungen und fast vollständige Symtomfreiheit, nach Zwangsabsetzen der Therapie herber Rückfall, lange AB-Pause, neue AB-Therapie brachte nur noch sehr langsame Verbesserungen, erst letztes Jahr Bartonellennachweis. Die Erfahrung von vielen hier im Forum ist übrigens, dass die AB am Anfang immer am besten wirken. Ich habe auch das Gefühl, dass mein Körper inzwischen von den vielen ABs sehr geschwächt ist, dabei wäre eigentlich dran, die Bartonellen zu behandeln.
Es gibt wirklich viele Möglichkeiten, einen schweren Verlauf zu versauen, bei mir wurden sie voll ausgekostet. Ich hoffe, du kannst all diese Fehler verhindern.
Das klingt furchtbar, ich hoffe wirklich sehr, dass es Dir trotz allen heute einigermaßen gut geht! So wie Du schreibst, mit all der Struktur und bei dieser schnellen Antwort scheinst Du auf jeden Fall kognitiv/geistig fit zu sein. Ich sitze hier für meine Antwort schon wieder 1,5 Stunden mit Pausen. Ich habe großen Respekt vor Antibiotika, auch weil ich das was Du beschreibst vor 4 Jahren nach 2 wöchiger Einnahme von Cefuroxim Tabletten (allerdings 3x 500 mg) bekommen habe. Übelste Durchfälle, antibiotikassoziierte Colitis und dann eine Polyarthritis die mich komplett bewegungsunfähig gemacht hat. Angeblich war Clostridium difficile Schuld. Aber das ist ja ein Autoimmunprozess?! Das möchte ich jedenfalls nie mehr erleben.
Ich wünsche dir von Herzen ganz viel Glück!
Bleib dran, vertrau deinem Gefühl, such dir einen Spezialisten, informiere dich umfassend und höre auf keinen Fall auf all die vielen Ärzte, die von Borreliose keine Ahnung haben!
PS. was mir noch als Argument für den Hausarzt einfällt: Mit Infusionen hättest du bei POTS gleich "zwei Fliegen mit einer Klappe": In den USA bekommen einige POTS-Betroffene Kochsalzlösungen infundiert zur Erhöhung des Blutvolumens. Manche haben dafür sogar einen Port. Die Infusionen wären also sogar gleichzeitig hilfreich für das POTS.
PS.2 Ein anderer hier im Forum mit POTS hat definitiv auch einen MBL-Mangel. Ich habe keinen (ausgeschlossen von der Immundefektambulanz) und trotzdem hat mich der Zeckenstich aus den Latschen gehauen. Dein Erklärungsmodell finde ich aber dennoch sehr nachvollziehbar. Bei einer Schwächung des Immunsystems oder einer entsprechenden Prädisposition kann die Situation einfach schneller "kippen", manchmal ist es auch einfach dann die eine Zecke oder das eine Ereignis zuviel.
Ich werde auf jeden Fall meinen Hausarzt versuchen zu überreden ein mögliches Antibiotikaschema nach der Empfehlung anzuwenden und mich zu unterstützen. Der hat von Borreliose, C.pneumoniae etc. nur leider genauso wenig Ahnung wie die meisten anderen. Der wollte mir monatelang einreden es sei alles psychosomatisch und ich soll wieder Joggen gehen. Habe das ein paar mal probiert und es endete immer in einem Totalcrashs
Ja, es war wie das eine Ereignis zu viel das mich komplett krank gemacht hat und auf allen Ebenen durcheinandergebracht hat. In den Vorjahren ging es mir auch mal für mehrere Wochen schlecht, ich hatte z.B. auf einer Indonesienreise einen ernsthaften Infekt der mich 2 Wochen ans Bett gefesselt hat. Damals stand laut Tropeninstitut Hamburg Dengue Fieber zur Debatte, hat sich aber nicht final bestätigt.
Mir kamen dann noch Impfschäden in den Sinn (Tollwut, Cholera, Hepatitis, Japanische Enzephalitis etc.) in den Sinn, aber das ist ein anderes Thema. Die Dinge sind echt kompliziert... Habe mich jedenfalls bis zum letzten Sommer immer wieder erholt. Danke Katie