(08.02.2016, 09:22)Heinzi schrieb: Die Fragen "Ab wann ist man 'krank'? Ab wann sollte man behandeln?" ist nicht so trivial wie sie scheint, finde ich, bei Infekten, bei Erbkrankheiten, bei chronischen Prozessen, bei Autoimmunprozessen, bei langsam wachsenden Tumoren, usw. Ist nur krank wer sich krank fühlt? Ich glaube nicht.
Definition von Krankheit, so wie sie von den Medizinern herangzogen wird:
Krankheit
[Morbus]
Krankheit ist definiert als Störung des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Bei der Abgrenzung der Krankheit von Gesundheit ist eine bestimmte, aus einer Vielzahl von Beobachtungen mithilfe statistischer Methoden gewonnene Schwankungsbreite zu berücksichtigen, innerhalb derer der Betroffene noch als gesund angesehen wird. Bei der Beschreibung einer Krankheit muss zwischen ihren Ursachen (Krankheitsursache) und ihren sichtbaren Anzeichen (Symptomen) unterschieden werden. Außerdem können sich unterschiedliche Verläufe zeigen: Eine akute Krankheit setzt plötzlich und heftig ein. Eine chronische Krankheit (Malum) beginnt langsam und verläuft schleichend. Manche Krankheiten verlaufen in Schüben, d.h., es wechseln sich Phasen der Besserung mit Phasen der Verschlechterung (Exazerbationen) ab, oder sie treten nach scheinbarer Ausheilung erneut auf (Rezidiv). Die Feststellung einer Krankheit (Diagnose) beruht auf der Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) sowie der Untersuchung des Betroffenen mit Auswertung der geschilderten und festgestellten Symptome. Die erhobene Diagnose dient der Festlegung einer evtl. notwendigen Behandlung, der Voraussage über den Verlauf der Krankheit (Prognose) und Maßnahmen der Krankheitsverhütung (Prävention).
(Quelle: Der Gesundheits-Brockhaus, F.A. Brockhaus GmbH, Leipzig - Mannheim)
http://www.gbe-bund.de/gbe10/abrechnung....tring=9404
Borreliose ist noch eine relativ neue Entdeckung und seit 10 Jahren sehe ich die Diskussion durch unnötige "Glaubensstreitereien" behindert. (Bitte erst weiterlesen, bevor sich jetzt wieder jemand aufregt.) Wer ein offenes Forum fordert, soll es hier auch finden. Offen heißt aber auch mal sich umzuschauen, was es außer komplizierten Fällen noch so gibt, Ansichten anderer überdenken und diese nicht gleich als persönlichen Angriff deuten.
Deshalb habe ich die Themenüberschrift gewählt um mal grundsätzlich etwas diskutieren zu können.
Schaut euch in den sehr eng gefassten Meldekriterien der Länder um. Da findet ihr genau diese Diagnosen:
Erythema migrans
Lyme-Arthritis dabei
Neuroborreliose
Die Diagnosekriterien sind sehr eng gefasst - alleine um tatsächlich sichere Fälle zählen zu können. Zu nichts anderes können diese Zahlen und Auflistungen dienen.
Dummerweise ist es das, was in ärztlichen Praxen dann eben immer wieder gelesen und herangezogen wird und was so stark in den Fokus gerät, dass alles andere leicht vergessen wird.
Man sieht also, dass hier das Spannungsfeld liegt. Ich wage sogar die These, dass sich durch die Einführung der Meldepflicht die Gesamtsituation für die Patienten eher verschlechtert als verbessert hat.
Jetzt sollte aber auch unsere Überlegung sein, wie wir das abbauen können. Das Ziel ist klar, wir wollen über diese sicher definierten sehr enggefassten Kriterien hinaus auch die sichere Möglichkeit haben, dass Borreliose in allen anderen Manifestationen diagnostiziert und vor allem auch behandelt wird.
Ich finde, dazu gehört aber trotzdem schon das Verständnis, dass es diese definierten Krankheitsbilder gibt, die sowohl anerkannt als auch behandelt werden und zwar von ganz normalen Ärzten. Viele Patienten profitieren auch davon und sind danach wieder gesund nach der obigen Definition.
Leider fehlen in der Liste der Meldekriterien eine Reihe wichtiger auch typische anerkannte Erkrankungsbilder, wie zum Beispiel das Borrelienlymphozytom, das Erythema chronicum migrans, die Acrodermatits atrophicans, die Lyme-karditis. Man darf fragen warum. Bei viele Krankheitsbilder von denen wir typischerweise reden, gibt es weder Anerkennung durch die Fachgesellschaften, noch wirklich geeignetes oder zu wenig nachgearbeitetes wissenschaftliches Erkenntnismatierial, durch was die Krankheitsbilder sicher belegt werden können
Das fängt schon bei der frühen Infektion an. Auch bei den ganz typischen Frühsymptomen gibt es außer beim typischen Erythma migrans nach Zeckenstich oft keine Antikörper, die man nachweisen kann, unabhängig vom Testsystem. Ohne Erythema migrans ist es äußerst schwierig in der Frühphase eine Neuroborreliose zu diagnosizieren, da auch hier oft noch keine Antikörper zu finden sind.
Also geben auch in der Frühphase einer möglichen Infektion die Tests keine sicher Auskunft über die Erkrankung - höchstens im Verlauf der Wochen, wenn der Test unter den gleichen Bedingungen gemacht wird, kann er Aussagen machen, wenn die Titer ansteigen. Es sind nicht unbedingt die Tests, die schlecht sind, sondern es ist die Verzögerung und manchmal unübliche Entwicklung der Antikörper, die es erschweren. Ein positiver Antikörper- Test kann jedoch immer den Beweis liefern, dass eine Infektion stattgefunden hat - nie andersrum
Entscheidend ist immer jedoch was die Ärzte machen. Wer sich mit dem Thema ausgiebig beschäftigt hat wird behandeln. Wer sich mit dem ganzen Zeckenkriegsthema und den unangenehmen Erscheinungen drumrum beschäftigt hat, wird es nicht öffentlich sagen, um nicht in die Schusslinie zu kommen. Wie schnell das geht, sieht man ja gerade auch hier in der Diskussion. Das Zurückziehen auf festgefahrenen Positionen gibt es leider auf allen Seiten und ist auch aus der Menschheitsgeschichte heraus betrachtet eine normale Reaktion. Wir mussen das aber nicht übernehmen.
Die Frage, die ich hier im Thread im Fokus hatte sollte vor allem auch heißen:
Wann ist eine Lyme-Borreliose eine Lyme-Borreliose?
Die Begrifflichkeiten stehen uns dabei oft stark im Weg. Letztlich gibt es zur Spätmanifestation der Lyme-Borreliose keine geeigneten wissenschaftlichen Studien noch gesicherte Behandlungsstrategien. Deshalb gibt es eben auch so viele verschiedene Ansätze diesem Fakt zu begegnen. Vor 7-8 Jahren sahen diese komplett anders aus, ohne dass es wirklich gute neue Studien dazu gibt. Letztlich sehe ich es als Aufgabe aller Ärzte, sich dieser Sichtweise auch mal zu öffnen und ich bin allen Ärzten dankbar, die sich den Patienten annehmen und zumindest die Versuche machen, das Leid zu lindern, wie auch immer.
Letztendlich ist aber das Krankheitsbild bei jedem lang Erkrankten so individuell, dass es auch nur individuell angegangen werden sollte. Ich denke, das sollte insbesonder auch hier neu ins Forum hinzugekommene wissen. Dazu zähle ich dann auch die meisten "alten" User hier im Forum.
Über die Therapierichtungen wurde auch schon früher gestritten und ein wenig mehr miteinander, Toleranz nebeneinander, statt Konfrontation wäre unserer gemeinsamen Sache auch allen Seiten sicherlich dienlich.
Grüße vom Urmel
Mitglied bei => Onlyme-Aktion.org
Lass das Verhalten anderer nicht deinen inneren Frieden stören (Dalai Lama)