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Es war der Nikolaustag 2013. Um Fotos für ein Weihnachtsgeschenk abzuholen, machte ich mich auf den Weg zu dm. Seitdem ich ein eigenes Auto hatte, konnte ich endlich Fahrpraxis gewinnen, doch an Tagen wie diesen schien es, als sei ich zurückgeworfen in meine Zeit als Fahranfängerin. Während ich das Auto aus meiner engen Garage manövrierte, spürte ich die Auswirkungen des Rizols in meinem Körper: Im Kopf fühlte ich mich, als schwebte ich in meinem Auto, das rechte Bein auf dem Gaspedal spürte ich kaum noch. War es das Rizol selbst oder seine Beiwerke wie Beifuß-, Wermut- oder Walnussöl, das mich in diesen Zustand versetzte?
Mühsam tastete ich mich auf die Straße vor. Das Fahren in meiner Wohngegend, zudem bei Dämmerung und Nieselregen, empfand ich an diesem Tag besonders anstrengend. Ich konnte kaum etwas sehen, hören und mein Gleichgewichtssinn verabschiedete sich Stückchen für Stückchen. Und dann die Rechts-vor-links-Rgelung, die viele Fahrer nach dem Absolvieren der Führerscheinprüfung wieder vergessen hatten!
Seufzend suchte ich einen anderen Radiosender, um mich abzulenken. Als ich aber die Stimme des "Kleinen Nils" vernahm, drehte ich dem Radio resolut seinen Saft ab. So resolut, wie es möglich ist, wenn sich die rechte Hand taub anfühlt. Voller Wehmut dachte ich an die Nikolaustage meiner Kindheit zurück, als ich mich noch bester Gesundheit erfreut hatte.
Bei dm angekommen, suchte ich nach meinen im Internet bestellten Fotos. Dreimal schaute ich alle Fächer durch, denn bedauerlicherweise hatte ich vergessen, die Endnummer meiner Bestellung aufzuschreiben bzw. gar anzuschauen. Nachdem ich, inzwischen verschwitzt, noch wackeliger auf den Beinen und den Tränen nah, weil noch nicht einmal die leichtesten Erledigungen zu klappen schienen, kurz davor war, eine Verkäuferin um Hilfe zu bitten, sah ich im allerersten Fach plötzlich meinen Namen. Warum hatte ich die Fotohülle vorher übersehen?!
Auf der Hülle waren Schneeglöckchen neben Mandelblütenzweigen abgebildet. Offenbar schienen die Designer dieser Fototütchen ebenso konfus gewesen zu sein, wie ich mich gerade fühlte. Oder aber es war künstlerische Freiheit! War das, was sich in meinem Körper abspielte, bakterielle Freiheit?
An der Kasse fühlte ich mich um Jahre gealtert, als ich mühsam mein Kleingeld zusammensammelte, wovon mir die Hälfte vor dem Bezahlen aus meiner zittrigen Hand fiel.
Immerhin an eines hatte ich gedacht: Von der Apotheke nebenan gab es Gutscheine und ich hatte, nachdem ich ihn im Badezimmer wiedergefunden hatte, meinen sogar dabei!
In Zeiten wie diesen gibt es immer etwas, das man in einer Apotheke kaufen muss. Heute beschloss ich, meinen Vorrat an Brennnesseltee aufzustocken. Für meine momentanen Verhältnisse beschwingt, humpelte ich also zur Apotheke und verlangte das Gewünschte. Als ich beim Bezahlen meinen Gutschein zückte, wurde ich eines Besseren belehrt: "Der gilt erst ab morgen!"
"Das ist ja enttäuschend", meinte ich, "dass man da am Nikolaustag keine Ausnahme machen kann!"
"Für den Nikolaus haben wir besondere Aktionen!", klärte mich die Apothekerin freundlich auf, und drückte mir eine grüne Tasse mit einem Grinsegesicht in die Hand, auf dessen Rückseite Werbung von der Apotheke zu lesen war. Genaugenommen, so stellte ich zu Hause fest, war der Grinser auf der Rückseite, wenn man die Tasse mit rechts in die Hand nahm.
"Nehmen Sie den Brennnesseltee zur Entgiftung?", fragte mich die Apothekerin.
Ich bejahte und berichtete ihr von meiner Rizol-Einnahme und dessen Auswirkungen.
"Seit wann nehmen Sie das Rizol denn schon?", wollte die interessierte Frau wissen.
"Oh, da muss ich mal überlegen ..." Seit Ausbruch meiner Symptome hatte sich mein Zeitgefühl verabschiedet. Waren die Tage vorher in einer geordneten Reihe vor meinem inneren Auge aufgetaucht, ordnungsgemäß mit Ziffern versehen, sah ich jetzt nur noch ein großes schwarzes Loch. Überhaupt schien mein inneres Auge seine Vorstellungskraft verloren zu haben.
"Ähm", stammelte ich, während mich gleichzeitig die Wortfindungsstörungen besuchten, "äh ... Ich muss mal überlegen. Welches Datum haben wir denn heute?"
Warum mich die Apothekerin daraufhin reichlich merkwürdig anschaute, ging mir erst auf, als ich die Apotheke schon verlassen hatte - mit dem höhnisch grinsenden Nikolausgeschenk in meiner Hand.