Hi Austin,
herzlich Willkommen!
(02.12.2014, 22:58)austin schrieb: Ich hatte 2007 einen Zeckenbiss mit Wanderröte und drei wöchiger AB Behandlung.
Eine Wanderröte (EM = Erythema migrans) ist ein Beweis für eine aktive Infektion mit Borrelien.
Leider entwickeln ein Teil der Patienten mit EM im Frühstadium (je nach Studien 10 bis 30%) ein chronisches Syndrom mit unspezifischen Symptomen wie Gelenk-, Muskel-, Nerven-, Kopfschmerzen, Erschöpfung, usw.
Die Ursachen für dieses chronische Syndrom werden in der Fachwelt seit 30 Jahren heftig diskutiert. Manche Ärzte (die Mitglieder der IDSA in den USA und die meisten Fachgesellschaften dieser Welt) sind fest davon überzeugt, dass Erreger nach einer Antibiose nicht persistieren können und somit nicht die Ursache dieser vielfältigen Symptome sein können. Es wird viel über persistierende Antigene spekuliert, die eine autoimmunbedingte Entzündung auslösen würden, aber bis jetzt wurde nichts bewiesen.
Andere Ärzte (die Mitglieder der ILADS in den USA oder der Deutschen Borreliose Gesellschaft) sind dagegen in der Regel der Meinung, dass persistierende Erreger, die der Antibiose überstanden haben, für die Symptome verantwortlich sind und der Patient daher erneut antibiotisch behandelt werden muss.
Über die Persistenz dieser Erreger im humanen Wirt wird ebenfalls viel spekuliert und gestritten. Die Persistenz nach Antibiosen wurde auf jeden Fall am Tiermodell nachgewiesen. Mögliche Ursachen für diese Persistenz sind sogenannte Persisterformen wie Zysten und Biofilme, die auf übliche AB wie Doxycycline, Amoxicycline weitgehend resistent sind. Eine weitere mögliche Ursache ist die lange Regenerationszeit (Teilungszeit) der Bakterien (12 bis 32 Std in vitro), die eine längere Behandlungszeit als bei anderen sich schnell teilenden Bakterien erfordert (die Deutsche Borreliose Gesellschaft empfiehlt deswegen mindestens 4 Wochen lang im Frühstadium zu behandeln, eine längere Zeit kann erforderlich sein), denn die meisten AB können Bakterien nur während der Teilung angreifen. "Ruhende" Bakterien können nur von bestimmten AB angegriffen werden.
Alle diese Mechanismen sind m.E. valide Erklärungen für eine Persistenz der Erreger nach 2-3 Wochen AB im Frühstadium. Leider wird die Bedeutung der Persisterformen und der langen Regenerationszeit von der IDSA und den meisten anderen Fachgesellschaften für das chronische Borreliose-Syndrom nicht anerkannt. Deswegen gilt ein Patient nach 2-3 Wochen AB für die meisten Ärzte als "bakterienfrei", also von der Borreliose geheilt.
Die Persistenz der Erreger am Tiermodell und die Existenz dieser Persisterformen, die zumindest in vitro mehrfach nachgewiesen wurden, lässt allerdings große Zweifel an dieser These aufkommen.
Leider gibt es aber bis jetzt keine klinische Studie, die eindeutig den Nutzen einer erneuten Antibiose belegt hätte. Deswegen wird im Fall eines chronischen Borreliose-Syndroms eine erneute Antibiose von den Fachgesellschaften nicht empfohlen. Das Problem dabei ist, dass keine weiteren Therapien empfohlen werden, die meisten Patienten also regelrecht in Stich gelassen werden (oder rein symptomatisch behandelt werden, z.B. gegen Schmerzen, was allerdings oft nicht gut gelingt). Viele Patienten bekommen dann andere Diagnosen wie "chronisches Fatigue-Syndrom" oder "Fibromyalgia" oder "chronische idiopathisches Schmerzsyndrom", "Depression", usw.
Viele Patienten lassen sich deswegen mit einer Off Label Therapie (deren Nutzen klinisch nicht nachgewiesen ist) von sogenannten "Borreliose-Ärzten" privat behandelt. Die meisten Ärzte behandeln ihre Patienten mit Langzeitantibiosen von mehreren Monaten oder sogar Jahren (Mono-oder Kombiantibiosen, gepulste oder Dauerantibiosen, usw.).
Der Nutzen dieser Langzeitantibiosen für die meisten Patienten ist unklar: es liegen keine eindeutige Wirksamkeitsnachweise. Allerdings zeigten Dr.Klemann und Dr.Huismann in einer praxisinternen Studie (2008), dass ca. 38% ihrer Patienten nach 1 Jahr Therapie symptomfrei geworden waren und 56% eine deutliche Besserung ihrer Beschwerden erreichen konnten. Eine Studie von Fallon zeigte ebenfalls eine Besserung der Beschwerden bei mehreren Langzeitantibiosen-Studien.
Zitat: Ein halbes Jahr später hatte ich ein großes Geschwulst unter der Zunge was im Krankenhaus 2 Wochen intravenös mit AB behandelt wurde. Man konnte nicht heraus finden, woher es gekommen ist. Es ist langsam wieder zurückgegangen.
Aus welchem Grund wurde dieses Geschwulst antibiotisch behandelt? Konnten die Ärzte Erreger an der Zunge oder im Blut feststellen?
Zitat:Seit dem hatte ich eigentlich Ruhe, bis ich dieses Jahr innerhalb von 1 1/2 Wochen plötzlich 15kg an Gewicht verloren habe, obwohl es mir bis dahin richtig gut ging und seit dem viele Symptome wie Müdigkeit, Erschöpfung, Herzklopfen, Schwindel, Übelkeit, Magen-Darm-Probleme, Kopfschmerzen, Ohrgeräusche, Zuckungen oder auch Gelenkknacken aufweise. Sämtliche Untersuchungen waren ohne wirklichen Befund. 2 1/2 Monate konnte ich gar nichts mit mir anfangen, momentan habe ich mal Tage, wo es auszuhalten ist und zwischendurch geht nicht viel.
Das sind keine spezifischen Symptome. Allerdings berichten viele chronischen Borreliose-Patienten über ähnliche Symptome, insbesondere über Erschöpfung, Kopfschmerzen, Herzprobleme, usw. Die Borrelien sind leider fähig überall im Körper zu wandern und quasi in allen Organen und Geweben Entzündungen auszulösen. Deswegen zeigen manche Patienten eine ähnliche vielfältige Symptomatik. Hier empfehle ich dir die Lektüre des Buches von Dr.Hopf-Seidel!
Andererseits sind diese Symptome nicht spezifisch und können durchaus andere Ursachen haben, bzw. wie Urmel es schrieb, von anderen Erregern (Bakterien, Viren, Pilze) ausgelöst werden. Zecken können nicht nur Borrelien übertragen, sondern auch weitere Bakterien (sogenannte Co-Infektionen) wie Bartonellen, Rikettsien, Babesien (-> Erschöpfung!), usw. Das Problem ist, dass die Diagnostik dieser Co-Infektionen von den aktuellen Leitlinien nicht empfohlen werden, so dass sie sehr oft übersehen werden. Dabei können sie für die vielfältigen Symptome der Patienten mit-verantwortlich sein oder sogar die Hauptursache sein.
In deinem Fall ist allerdings aufgrund deines EMs eine aktive Borreliose mit evtl. weiteren Erregern durchaus möglich. Manche Borreliose-Ärzte sind sogar der Meinung, dass es im chronischen Stadium keine "reine" Borreliose gibt, sondern immer Co-Erreger mit im Boot!
Und durch die Schwächung des Immunsystems können im Körper schlummernde Viren wie EBV wieder reaktiviert werden und für Symptome mit-verantwortlich sein. Hier kann der Titer ohne Probleme in einer Hausarzt-oder Internistenpraxis auf Kosten der gesetz.KK bestimmt werden. Eine Behandlung gibt es aber m.Erfahrung.n nicht immer (meine EBV war 3 Monate nach dem Zeckenstich reaktiviert, ich bekam aber keine Behandlung).
Bei deiner Krankheitsgeschichte und deiner Symptomvielfalt halte ich eine aktive Borreliose mit Co-Infektionen für sehr wahrscheinlich. Weitere Teste der Co-Infektionen wären wünschenswert, ich weiß allerdings nicht, ob dies auf Kosten der gesetz. KK möglich ist (Frage in der Runde an anderen Forummitgliedern!).
Zitat:Aber hier mal meine Laborwerte, von der Borrelienserologie dieses Jahr:
Borrelien-IgG-Screen i. S. EIA < 8.0 U/ml (negativ < 8.0 / grenzw. 8.0 - 11.0 / positiv > 11.0)
Borrelien-IgM-Screen i. S. EIA 11.6 * U/ml (negativ < 6.0 / grenzw. 6.0 - 11.0 / positiv > 11.0)
Borrelien-IgM (quant.) i. S. EIA 56.4 * U/ml (negativ < 10 / grenzw. 10 - 20 / positiv > 20)
Borrelien-IgM-Immunoblot i. S. (WB)
Lysat -
p100 -
VlsE -
p39 -
OspA -
OspC (pKo) +
OspC (pBI) +
p41 int. -
p18 -
Kann ich meinem Arzt hier vertrauen, dass dieser Test komplett als negativ anzusehen ist?
Nein. Denn deine IgM-AKs (Frühantikörper) im ELISA sind im 2.Fall (wurden 2 ELISA gemacht?) deutlich erhöht UND du hast im Immunoblot spezifische OSPC Banden (OSPC ist ein Oberflächenprotein der Borrelien, also ein für Borrelien spezifisches Antigen). Das spricht für eine AKTIVE Frühinfektion nach aktueller Lehrbuchmeinung.
Das kann aber m.E. auch für ein chronisches Stadium sprechen, denn positive IgM und negative IgG werden von vielen Borreliose-Ärzten als Zeichen einer aktuellen Auseinandersetzung des Immunsystems mit Borrelien, also für eine gerade aktuelle aktive Infektion, auch wenn die Symptome seit mehreren Monaten bestehen. Ob die Infektion im Früh-oder chronischem Stadium ist, kann m.E. nicht mit der Serologie gesagt werden. Offiziell spricht ein solcher Befund für eine Frühinfektion. Es gibt allerdings viele chronische Patienten, die persistierende IgM AKs mit negativen IgG haben.
Bei diesem Befund müsste dein Arzt dich also erneut antibiotisch behandeln, also für mindestens 3-4 Wochen, denn nach aktuellen Leitlinien spricht der Befund für eine Frühinfektion. Ich verstehe seine Diagnose deshalb nicht.
Dazu müsste man die Co-Infektionen testen, insbesondere Babesien, Bartonellen (78% der chronischen Patienten von Dr.Berghoff hatten eine positive Serologie), Yersinien, usw.
Ob das in einer normalen Hausarzt Praxis möglich ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Bis jetzt hat mir kein Kassenarzt eine solche Untersuchung vorgeschlagen, trotz erinnerlichem Zeckenstich mit anschließendem grippalem Syndrom. Das Thema Co-Infektionen scheint den meisten Kassenärzten nicht geläufig zu sein.
An deiner Stelle würde ich einen anderen Arzt konsultieren, bzw. einen Borreliose-Arzt, falls es geographisch und finanziell möglich ist (die meisten sind leider Privatärzte).
Wohnst du in der Nähe einer Uniklinik? Denn in manchen Unikliken gibt es eine infektiologische oder immunologische Abteilung. Vielleicht könntest du dich dort weiter untersuchen lassen. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass die Existenz einer chronischen Borreliose dort abgestritten wird und dass du nach 2-3 Wochen AB trotz persistierender Symptome als gesund entlassen wird. Denn in Kliniken wird meist "leitlinientreu" diagnostiziert und behandelt.
Empfehlenswert wäre m.E. eine hormonelle Untersuchung bei einem guten Endokrinologen, um zu prüfen, ob hormonelle Defizite (Schilddrüse, Nebennieren) vorhanden sind. Denn die können für Symptome wie Erschöpfung, Gewichtsverlust (Cortisolmangel), usw. verantwortlich sein.
Die Prüfung der Eisenwerte (Ferritin mit CRP, Blutbild mit Hb, MCV) wäre ebenfalls wünschenswert, um zu prüfen, ob ein Eisenmangel vorliegt (leere bzw. niedrige Eisenspeicher). Hier gibt es allerdings ebenfalls unterschiedliche Expertenmeinungen: die aktuellen Leitlinien sehen einen Eisenmangel erst bei Ferritin unter Norm als behandlungsbedüfrtig, Ärzte wie Dr.Beat Schaub sagen, Eisenmangelsymptome können beim niedrig normalen Ferritinspiegel vorhanden sein (sprich unter 50 ng/ml, was mein Fall ist).
Holo-Transcobalamin (aktive VitB12 im Blut) und Methylmalonsäure (Blut oder Urin) wären ebenfalls wichtig, um einen VitB12 Mangel nicht zu übersehen. VitB12 im Blut ist obsolet, denn normale Werte schließen keinen Mangel an stoffwechselaktiver VitB12 aus. Leider messen die meisten Ärzte nach wie vor VitB12 im Serum und schließen einen Mangel beim normalen Wert aus.
Ebenfalls würde ich dich zu einer Untersuchung bei einem Gastroenterologen raten, um zu prüfen, ob eine Zöliakie oder eine Glutenintoleranz vorhanden ist. Oder eine andere Darmerkrankung.