02.06.2017, 07:36
Heute veröffentlicht - ganz interessant, auch wenn viele Themen ja hier schon bekannt bzw. kontrovers diskutiert werden!
Quelle: https://www.welt.de/gesundheit/article16...liose.html
Das Gespenst chronische Borreliose
Viele fürchten sich nach einem Zeckenstich vor einer Ansteckung mit Borreliose. Experten sind sich uneins, wie gefährlich sie wirklich ist. Ist am Ende vielleicht alles auch eine Frage der Psyche?
Eine Zecke hat man sich schnell gefangen, das weiß Hendrik Wilking aus eigener Erfahrung. Die millimetergroßen Achtbeiner lauern auf hohem Gras, im Gebüsch oder im Farn, wo sie unbemerkt bei einem Waldspaziergang abgestreift werden. So sind sie auch bei Wilking gelandet.
Die meisten Bisse sind harmlos. Doch einige Zecken tragen in ihrem Darm Bakterien mit sich, die beim Menschen eine kontrovers diskutierte Krankheit auslösen können: Borreliose.
Fünf bis 35 Prozent aller Zecken sind je nach Gebiet in Deutschland mit dem Erreger infiziert. Gelangen die sogenannten Borrelien in die Blutbahn eines Menschen, wehrt das körpereigene Immunsystem sie ab – meistens. Bei bis zu sechs Prozent der Stiche bleibt die Infektion folgenlos. Doch bei 0,3 bis 1,4 Prozent aller Zeckenstiche entwickeln die Betroffenen Symptome einer Borreliose.
Symptome der Borreliose manchmal nicht sichtbar
Wilking beobachtet am Robert-Koch-Institut, wie sich die Krankheit in Deutschland ausbreitet. Er schätzt, dass es jährlich rund 200.000 Fälle von Borreliose in Deutschland gibt. Eine genaue Zahl lässt sich schwer feststellen, denn die Krankheit ist nicht überall meldepflichtig.
Wer sich tatsächlich infiziert hat, bemerkt das häufig an der sogenannten Wanderröte, die in den meisten Fällen auftritt. Nach ein paar Tagen bildet sich ein rötlicher Ring um die Einstichstelle, der sich erst ausbreitet und dann verschwindet. Die Wanderröte ist äußerlich das einzige sichere Anzeichen für eine Borrelien-Infektion. Manchmal gibt es aber gar keine sichtbaren Hinweise auf eine Infektion.
Wesentlich seltener als die Haut befallen Borrelien auch das Herz oder das Nervensystem. Dann zeigen sich die Folgen erst Wochen, Monate oder gar Jahre nach dem Zeckenstich. Es kommt zu Kopf- oder Gliederschmerzen, Schwellungen an den Gelenken oder sogar Gesichtslähmungen. Teilweise sind es schwere, aber immer unklare Symptome, die auch auf andere Leiden hindeuten können.
Behandlung wegen Spätfolgen wichtig
Im Blut gibt es dann Hinweise auf die Verursacher: Ist der Körper einmal mit Borrelien in Kontakt gekommen, bildet er Antikörper, die sich auch viele Jahre nach dem Kontakt noch nachweisen lassen. Je nach Region besitzen geschätzte 15 bis 25 Prozent der Bevölkerung Borrelien-Antikörper. Das ist jedoch kein Zeichen dafür, dass jemand die Krankheit hat. Selbst in den Überresten des Ötzi fand man Hinweise, dass er mit Borrelien infiziert war.
Auch wenn sie selten ist: Man darf die Borreliose nicht bagatellisieren, sagt Sebastian Rauer. Er ist Neurologe an der Universität Freiburg und Spezialist für Borreliose in der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Ist die Diagnose gesichert, etwa durch eine Wanderröte, müsse sie zwingend mit Antibiotika behandelt werden, damit keine bleibenden Schäden entstehen – auch wenn sie häufig von selbst heile. Abhängig von der Schwere der Krankheit lässt sie sich in jedem Stadium mit einer zwei- bis vierwöchigen Antibiotika-Behandlung stoppen.
Test auf Borreliose-Antikörper oft irreführend
Doch es gibt viele, die nicht davon überzeugt sind, dass sich die Borreliose so einfach aufhalten lässt. Für sie ist es eine Krankheit, die chronisch werden kann und sich dann nicht mehr beherrschen lässt. Ihnen zufolge nisten sich die Erreger im Körper ein und sorgen schubweise für Krankheitssymptome.
Diese sogenannte chronische Neuroborreliose äußere sich dann durch Erschöpfungszustände, Müdigkeit und eine Vielzahl weiterer, ebenfalls unklarer Anzeichen. Verfechter dieses Krankheitsbilds bieten auf ihren Internetseiten bisweilen Checklisten zur Selbstdiagnose an, nach denen nahezu jeder an sich selbst eine chronische Neuroborreliose feststellen könnte.
Ihrer Ansicht nach ist es bei einer vermeintlichen chronischen Neuroborreliose notwendig, Antibiotika nicht nur über wenige Wochen, sondern über mehrere Monate zu nehmen. Zudem lässt sich ihnen zufolge die chronische Neuroborreliose-Form durch zweifelhafte Tests auf Antikörper nachweisen, deren Anwendung nicht nur vom Robert Koch-Institut kritisch gesehen wird. Die Tests würden häufig falsch angewandt oder irreführende Ergebnisse liefern.
Antibiotika bei ungesicherter Diagnose unnötig
Dabei könne man die „echten“ Fälle ganz klar herausfinden, sagt der Neurologe Sebastian Rauer. Diese Patienten hätten neben den bisweilen unspezifischen Borreliose-Symptomen auch eindeutige entzündliche Veränderungen im Nervenwasser. Ist die Entzündung im Nervenwasser nicht mehr zu erkennen, haben sie auch keine Neuroborreliose mehr.
Menschen, die unspezifische chronische Symptome zeigen, sind krank, „das stellt keiner in Frage“, sagt Rauer. Doch ihnen sei nicht damit geholfen, dass sie auf der Basis einer ungesicherten Diagnose länger als nötig mit Antibiotika behandelt werden. „Im Gegenteil“, sagt der Neurologe, „es setzt sie dem Risiko erheblicher Nebenwirkungen aus.“
Rauer hatte schon einige Fälle, in denen sich eine vermeintliche Borreliose als eine ganz andere Krankheit herausgestellt hat. Darunter waren Multiple Sklerose, Rheuma oder ein frühes Stadium von Parkinson. Sie zeigen sich durch ähnliche Symptome wie Borreliose, müssen aber ganz anders behandelt werden. „Da helfen Antibiotika natürlich nicht“, sagt Rauer.
Ursache kann auch psychosomatisch sein
Damit die richtige Krankheit erkannt wird, muss man genau schauen, ob es nicht andere Ursachen für sie gibt. Dabei kommen auch psychische oder psychosomatische Erkrankungen in Betracht.
In etlichen Fällen aber lässt sich keine überzeugende Diagnose finden. „Wenn dann jemand kommt und sagt, hier sind borrelienspezifische Antikörper im Blut, das muss eine chronische Borreliose sein, dann ist das für manche Patienten zunächst extrem überzeugend“, sagt Rauer.
Quelle: https://www.welt.de/gesundheit/article16...liose.html
Das Gespenst chronische Borreliose
Viele fürchten sich nach einem Zeckenstich vor einer Ansteckung mit Borreliose. Experten sind sich uneins, wie gefährlich sie wirklich ist. Ist am Ende vielleicht alles auch eine Frage der Psyche?
Eine Zecke hat man sich schnell gefangen, das weiß Hendrik Wilking aus eigener Erfahrung. Die millimetergroßen Achtbeiner lauern auf hohem Gras, im Gebüsch oder im Farn, wo sie unbemerkt bei einem Waldspaziergang abgestreift werden. So sind sie auch bei Wilking gelandet.
Die meisten Bisse sind harmlos. Doch einige Zecken tragen in ihrem Darm Bakterien mit sich, die beim Menschen eine kontrovers diskutierte Krankheit auslösen können: Borreliose.
Fünf bis 35 Prozent aller Zecken sind je nach Gebiet in Deutschland mit dem Erreger infiziert. Gelangen die sogenannten Borrelien in die Blutbahn eines Menschen, wehrt das körpereigene Immunsystem sie ab – meistens. Bei bis zu sechs Prozent der Stiche bleibt die Infektion folgenlos. Doch bei 0,3 bis 1,4 Prozent aller Zeckenstiche entwickeln die Betroffenen Symptome einer Borreliose.
Symptome der Borreliose manchmal nicht sichtbar
Wilking beobachtet am Robert-Koch-Institut, wie sich die Krankheit in Deutschland ausbreitet. Er schätzt, dass es jährlich rund 200.000 Fälle von Borreliose in Deutschland gibt. Eine genaue Zahl lässt sich schwer feststellen, denn die Krankheit ist nicht überall meldepflichtig.
Wer sich tatsächlich infiziert hat, bemerkt das häufig an der sogenannten Wanderröte, die in den meisten Fällen auftritt. Nach ein paar Tagen bildet sich ein rötlicher Ring um die Einstichstelle, der sich erst ausbreitet und dann verschwindet. Die Wanderröte ist äußerlich das einzige sichere Anzeichen für eine Borrelien-Infektion. Manchmal gibt es aber gar keine sichtbaren Hinweise auf eine Infektion.
Wesentlich seltener als die Haut befallen Borrelien auch das Herz oder das Nervensystem. Dann zeigen sich die Folgen erst Wochen, Monate oder gar Jahre nach dem Zeckenstich. Es kommt zu Kopf- oder Gliederschmerzen, Schwellungen an den Gelenken oder sogar Gesichtslähmungen. Teilweise sind es schwere, aber immer unklare Symptome, die auch auf andere Leiden hindeuten können.
Behandlung wegen Spätfolgen wichtig
Im Blut gibt es dann Hinweise auf die Verursacher: Ist der Körper einmal mit Borrelien in Kontakt gekommen, bildet er Antikörper, die sich auch viele Jahre nach dem Kontakt noch nachweisen lassen. Je nach Region besitzen geschätzte 15 bis 25 Prozent der Bevölkerung Borrelien-Antikörper. Das ist jedoch kein Zeichen dafür, dass jemand die Krankheit hat. Selbst in den Überresten des Ötzi fand man Hinweise, dass er mit Borrelien infiziert war.
Auch wenn sie selten ist: Man darf die Borreliose nicht bagatellisieren, sagt Sebastian Rauer. Er ist Neurologe an der Universität Freiburg und Spezialist für Borreliose in der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Ist die Diagnose gesichert, etwa durch eine Wanderröte, müsse sie zwingend mit Antibiotika behandelt werden, damit keine bleibenden Schäden entstehen – auch wenn sie häufig von selbst heile. Abhängig von der Schwere der Krankheit lässt sie sich in jedem Stadium mit einer zwei- bis vierwöchigen Antibiotika-Behandlung stoppen.
Test auf Borreliose-Antikörper oft irreführend
Doch es gibt viele, die nicht davon überzeugt sind, dass sich die Borreliose so einfach aufhalten lässt. Für sie ist es eine Krankheit, die chronisch werden kann und sich dann nicht mehr beherrschen lässt. Ihnen zufolge nisten sich die Erreger im Körper ein und sorgen schubweise für Krankheitssymptome.
Diese sogenannte chronische Neuroborreliose äußere sich dann durch Erschöpfungszustände, Müdigkeit und eine Vielzahl weiterer, ebenfalls unklarer Anzeichen. Verfechter dieses Krankheitsbilds bieten auf ihren Internetseiten bisweilen Checklisten zur Selbstdiagnose an, nach denen nahezu jeder an sich selbst eine chronische Neuroborreliose feststellen könnte.
Ihrer Ansicht nach ist es bei einer vermeintlichen chronischen Neuroborreliose notwendig, Antibiotika nicht nur über wenige Wochen, sondern über mehrere Monate zu nehmen. Zudem lässt sich ihnen zufolge die chronische Neuroborreliose-Form durch zweifelhafte Tests auf Antikörper nachweisen, deren Anwendung nicht nur vom Robert Koch-Institut kritisch gesehen wird. Die Tests würden häufig falsch angewandt oder irreführende Ergebnisse liefern.
Antibiotika bei ungesicherter Diagnose unnötig
Dabei könne man die „echten“ Fälle ganz klar herausfinden, sagt der Neurologe Sebastian Rauer. Diese Patienten hätten neben den bisweilen unspezifischen Borreliose-Symptomen auch eindeutige entzündliche Veränderungen im Nervenwasser. Ist die Entzündung im Nervenwasser nicht mehr zu erkennen, haben sie auch keine Neuroborreliose mehr.
Menschen, die unspezifische chronische Symptome zeigen, sind krank, „das stellt keiner in Frage“, sagt Rauer. Doch ihnen sei nicht damit geholfen, dass sie auf der Basis einer ungesicherten Diagnose länger als nötig mit Antibiotika behandelt werden. „Im Gegenteil“, sagt der Neurologe, „es setzt sie dem Risiko erheblicher Nebenwirkungen aus.“
Rauer hatte schon einige Fälle, in denen sich eine vermeintliche Borreliose als eine ganz andere Krankheit herausgestellt hat. Darunter waren Multiple Sklerose, Rheuma oder ein frühes Stadium von Parkinson. Sie zeigen sich durch ähnliche Symptome wie Borreliose, müssen aber ganz anders behandelt werden. „Da helfen Antibiotika natürlich nicht“, sagt Rauer.
Ursache kann auch psychosomatisch sein
Damit die richtige Krankheit erkannt wird, muss man genau schauen, ob es nicht andere Ursachen für sie gibt. Dabei kommen auch psychische oder psychosomatische Erkrankungen in Betracht.
In etlichen Fällen aber lässt sich keine überzeugende Diagnose finden. „Wenn dann jemand kommt und sagt, hier sind borrelienspezifische Antikörper im Blut, das muss eine chronische Borreliose sein, dann ist das für manche Patienten zunächst extrem überzeugend“, sagt Rauer.