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Seltene Infektionen: Wie oft sind positive Laborbefunde falsch?
#1

Liebe Leute,

viele Borreliose-Kranke bzw. vermeintlich Borreliose-Kranke werden von ihren Spezis routinemäßig auf diverse sogenannte Co-Infektionen hin untersucht und behandelt. Es wird hier im Forum manchmal die Frage gestellt, wie aussagekräftig ein positiver Laborwert für diese Infektionen ist. Ich möchte zur Diskussion dieses komplexen Themas mit einer kurzen Abhandlung eines in der Praxis sehr relevanten Teilthemas beitragen. Es geht um folgende Fragestellung: Wie häufig sind positive Laborbefunde falsch?

Kein Test ist hundertprozentig sicher. Prinzipiell wird die Funktionalität eines Labortests von Herstellern mit der Sensitivität und Spezifität angegeben. Die Sensitivität ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer infizierten Person der entsprechende Test positiv ist. Die Spezifität ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer nichtinfizierten Person der entsprechende Test negativ ist. Abschätzungen für die Sensitivität und Spezifität eines konkreten Tests finden sich in den Datenblättern. Beispielsweise wird für ein ELISA Borrelia IgG-Testkit von der Firma Sekisui Diagnostics eine Sensitivität von mindestens 99,0 Prozent und eine Spezifität von 97 Prozent angegeben.

Neben der Sensitivität und Spezifität spielt jedoch auch die Häufigkeit der Infektion in der Bevölkerung eine Rolle. Der Anteil der Personen einer bestimmten Population, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erkrankt sind, wird Prävalenz genannt.

Mit diesen drei Werten lässt sich eine Abschätzung darüber treffen, wie aussagekräftig ein bestimmter Laborwert ist. Es soll hier wie gesagt speziell um die Frage gehen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Person mit einem positiven Befund für eine bestimmte Infektion tatsächlich infiziert ist. Diese Wahrscheinlichkeit nennt man positiv prädiktiver Wert. Diese Fragestellung lässt sich an folgendem Beispiel (welches bereits in der Quatschecke als Rätsel besprochen wurde) sehr schön illustrieren:

"Ein Bluttest für eine gewisse Infektion liefert folgende Ergebnisse: Bei infizierten Personen gibt der Test ein positives Ergebnis in 99,99 Prozent (!) der Fälle (Sensitivität). Bei nicht infizierten Personen liefert der Test ein (falsch) positives Ergebnis in nur 0,02 Prozent der Fälle. Man weiß, dass in der Bevölkerung im Mittel 1 von 10.000 Personen infiziert ist (Prävalenz). Es wird nun eine Person zufällig ausgewählt und mit dem Infektionstest getestet. Das Ergebnis ist 'positiv'. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist diese Person tatsächlich infiziert?"

Von beispielsweise 100 Millionen Personen sind also im Mittel 10.000 Personen infiziert. Testet man diese infizierten Personen, so werden 9.999 Personen positiv getestet (richtig positiv) und nur 1 Person negativ getestet (falsch negativ). Es scheint also auf den ersten Blick ein sehr guter Test zu sein. Dies gilt aber nur für tatsächlich Infizierte, denn für Gesunde ergibt sich folgendes Bild: Werden alle Nicht-Infizierten auch diesem Test unterzogen, so werden im Mittel knapp 20.000 Personen fälschlicherweise als infiziert diagnostiziert (falsch positiv). In Summe werden bei einem Screening-Test also etwa 30.000 Personen positiv getestet. Es sind aber nur 10.000 Personen infiziert. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine positiv getestete Person also tatsächlich infiziert ist, ist 1/3; oder anders ausgedrückt: Auf eine richtig positiv diagnostizierte Person kommen zwei falsch positiv diagnostizierte Personen, also 1:2.

Man sollte einen Test also nur dann machen lassen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass man eine gewisse Krankheit hat - aufgrund der Symptomatik, Familienanamnese oder/und aufgrund der hohen Prävalenz - nicht verschwindend gering ist. Ins Blaue nach sehr seltenen Infektionen zu testen hat rein statistisch gesehen oftmals ein falsch positives Ergebnis - und damit ggf. eine unnötige oder falsche Behandlung - zur Folge.

In obigem Beispiel ergibt sich eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit für falsch positive Befunde, da die Infektion an sich sehr selten ist.

Wie selten sind also die von Borreliose-Spezis routinemäßig getesteten Co-Infektionen? Bei einigen Co-Infektionen ist die Prävalenz weltweit nicht bekannt und man kann oft davon ausgehen kann, dass sie sehr gering ist. Bei der Babesiose zum Beispiel gab es in den USA im Jahr 2011 nur 1.124 Fälle (Quelle: Orpha.net). Die Prävalenz ist also mindestens so gering wie in obigem Rechen-Beispiel. Noch geringer ist sie bei der humanen Brucellose, die z.B. in Österreich weniger als 10 diagnostizierte Fälle pro Jahr hat (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit und Frauen). Rein statistisch gesehen muss es hier zu vielen falsch positiven Labor-Befunden kommen (auch wenn die Tests sehr gut wären).

Dennoch ist folgendes wichtig: Ein Test liefert i.d.R. immer ein Mehr an Information: In obigem Zahlenbeispiel steigt die Wahrscheinlichkeit, infiziert zu sein von 1/10.000 vor dem Test auf 1/3 bei positivem Laborwert an. Insofern weiß man nach dem Test viel mehr als vor dem Test, wenngleich eine hohe Unsicherheit bleibt.

Dies alles sollte man wissen, wenn man zu einem/einer Spezi geht, der/die eine großzügige "Rundumdiagnostik" macht. Eine Überprüfung gewisser Infektionen kann unter gewissen Umständen und in gewissem Rahmen sinnvoll sein, man muss sich aber dem Risiko falsch positiver Befunde bewusst sein und die Laborergebnisse richtig interpretieren.

H.

Link mit mathematischen Grundlagen und einem anderem Beispiel: Uni Münster
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#2

Hallo Heinzi,das Ist interessant.Bin zur Zeit in der Klinik.Der behandelnde Arzt möchte mich mit Aciclovir IV behandeln.Coxsackie Viren,Herpes,Cytomegalieviren sind erhöht.Aber was sagt das aus?Das kann doch alles oder nichts sein.Vor Jahren,als die Borreliose bei mir ausbrach,waren die Mumps Werte erhöht,ohne dass ich irgendwelche Symptome hatte.Damals hatte mich sogar das Gesundheitsamt angerufen.Ich möchte eigentlich keine Viren behandeln.Muss aber noch die Blutwerte abwarten.LG
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#3

Wie wird denn die Prävalenz ermittelt, wenn keine schlaue Diagnostik verfügbar ist und die Symtome die Diagnose auch nicht sichern?

LG, Regi

Je mehr ich über die Borreliose weiss, desto mehr weiss ich, dass man fast gar nichts weiss.

Nichts auf der Welt ist gefährlicher als aufrichtige Ignoranz und gewissenhafte Dummheit. (Martin Luther King)

Absenz von Evidenz bedeutet nicht Evidenz für Absenz
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Thanks given by: Filenada , AnjaM , Zotti , johanna cochius , Markus
#4

(14.01.2018, 12:26)Regi schrieb:  Wie wird denn die Prävalenz ermittelt, wenn keine schlaue Diagnostik verfügbar ist und die Symtome die Diagnose auch nicht sichern?

Das Frage ich mich nämlich auch. Da könnte man mal beim RKI nachfragen.

Ich hatte in einem anderen Thread zum Thema Babesiose eine Studie aus Belgien reingestellt. Da war es (Gedächtnisprotokoll) so, dass ca. ein Drittel der Patienten, die nach Zeckenstich krank wurden, Antikörper gegen Babesien hatten. Es wurde da auf drei Stämme getestet B. microti, B. divergens und EU1. Babesien scheinen deutlich häufiger als angenommen.
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Thanks given by: Regi , katze , mikky , judy , mari , Sabine
#5

Genau um das von mir in diesem Thread angesprochene Thema (zu dem ich viel positive Rückmeldung erhalten habe) geht es in der „Unstatistik des Monats“.

HIV-Schnelltest: „... bei einem positiven Testergebnis liegt die Wahrscheinlichkeit, dass man infiziert ist, nur bei etwa 8 Prozent.“

Bitte lesen:

„Sie sind wahrscheinlich HIV-Positiv“
Unstatistik vom 08.01.2019
http://www.rwi-essen.de/unstatistik/86/

Heinzi
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Thanks given by: hanni , urmel57 , mari
#6

Zum Thema:

"Glen Taksler von der Cleveland Clinic in Ohio weist darauf hin, dass bis zu 60 Prozent der Frauen, die sich einer jährlichen Mammografie unterziehen, im Lauf von zehn Jahren einen falsch-positiven Befund erhalten (Cancer 2018, online 23. April). Gleiches gilt für 10–12 Prozent der Männer, die regelmäßig ihr prostataspezifisches Antigen bestimmen lassen. Und 23 Prozent der Patienten, die ihren Stuhl regelmäßig auf okkultes Blut untersuchen lassen, erhalten laut Taksler ein positives Ergebnis, ohne dass in der anschließenden Koloskopie eine pathologische Veränderung aufgedeckt würde."

Aus: Der positive Effekt von falsch-positiven Befunden. Von Robert Bublak, Ärzte Zeitung, 30.05.2018. https://www.aerztezeitung.de/medizin/kra...unden.html
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Thanks given by: borrärger , biblio , mari
#7

Hallo Leute, 

in der aktuellen Unstatistik des Monats (RWI Essen) geht es wieder einmal um die Zuverlässigkeit von Antikörper-Tests. Dieses Mal ist - oh Wunder! - der Coronavirus SARS-CoV-2 an der Reihe. Einige überlegen sich ja, sich einfach mal testen zu lassen, um zu sehen, ob man nicht schon Corona hatte, symptomlos oder symptomarm, ohne dass es diagnostiziert wurde. 

Eine Analyse von 14 Antikörper-Test zeigte, dass die Rate der falsch positiven Ergebnisse derzeit bei durchschnittlich fünf Prozent liegt. Sind diese Tests also nicht ziemlich zuverlässig? Nehmen wir an, der verwendete Test ist noch viel zuverlässiger, sagen wir: nur ein Prozent (1 %) sind falsch positiv. Zudem nehmen wir an, dass der Test eine absolut perfekte Sensitivität vom 100 % hat, d.h. alle tatsächlich Infizierten werden auch vom Test als solche erkannt. 

Euer Test ist positiv. Habt ihr also Corona? Die Wahrscheinlichkeit, das ihr tatsächlich infiziert seid, hängt von dem Anteil der Erkrankten in der Bevölkerung ab (Prävalenz). Nehmen wir an, dass ein Prozent der Bevölkerung mit Corona infiziert ist/war. Nehmen wir 100.000 zufällige Personen, die wir mit diesem Test überprüfen. Der Erwartungswert ist, dass 1.000 Personen von diesen 100.000 infiziert sind (da 1 % Prävalenz). Bei den durchschnittlich 99.000 nicht infizierten Personen erwartet man ebenfalls 1.000 positive getestete Personen. Es gibt also 1.000 korrekt positive und 1.000 falsch positive Tests. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr bei positivem Test tatsächlich infiziert seid ist - statistisch gesehen - also 50 %. Da kann man eigentlich gleich würfeln, oder? 

Laut einer im Magazin Nature kurz vorgestellten Studie fallen mit dem in Deutschland hergestellten EUROIMMUN-Test auf drei richtigerweise positiv getesteten Personen etwa zwei fälschlicherweise positive getestete Personen

Herzliche Grüße
H.
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Thanks given by: mari , urmel57 , Markus , Greif
#8

@ Heinzi:

Nur mal am Rande berichtet, dass Brucellose u. a. Sticker-Sarkome bei Hunden macht. Nun hatte ich einen Hund mit Sticker-Sarkom, hab auch nicht nur eine blutende "Blessur" davon getragen von ihm. Test auf Brucella verweigerte mir ein Notdienst-Arzt, trotz Behandlungsbedarf... Tjaja, was man nicht sucht, kann man kaum finden... War übrigens so ähnlich bei Ausbruch der Borreliose: Knapp ein halbes Dutzend Ärzte suchte und fand keine Wanderröte an mir. Nur meiner besten Freundin (Biologin!) fiel der "Kringel" auf. Test danach in Arztpraxis: positiv.

Trotzdem finde ich deine obigen Beiträge gut!!!
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#9

(29.06.2020, 19:47)Heinzi schrieb:  Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr bei positivem Test tatsächlich infiziert seid ist - statistisch gesehen - also 50 %. Da kann man eigentlich gleich würfeln, oder? 
Ein negativer Test (IgG) schließt eine durchgemachte Covidinfektion ja weitgehend sicher aus. Das wäre ja unter Umständen auch schon eine wichtige Information.

Die Überlegungen kann man ja (ggfs. mit etwas anderen Zahlen) genauso auf die PCR anwenden. Wenn man von einer Spezifität von 98,6 % der PCR wie im INSTAND Ringerversuch angegeben ausgeht, dann dürfte die Mehrzahl der PCR-Positiven in Deutschland falsch positiv sein, falls kein Bestätigungstest erfolgen sollte. Söder will ja jetzt die ganze Bevölkerung testen. Wenn man die damit generierten falsch-Positiven zu dem m.E. relativ sinnfreien R-Wert verwurstet, kann man der Bevölkerung dann wieder Angst machen.
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#10

Danke Heinzi, 

Über solche Überlegungen bin ich auch bereits gestolpert. Ich nehme an, dass die falsch positiven Ergebnisse aus Proben von der Blutbank vorcovidscher Zeit entnommen wurden. 

Von daher sind diese Coronabetrachtungen höchst interessant, da es da möglich ist. Je höher die Durchseuchung, desto besser der Vorhersagewert.

Mitglied bei => Onlyme-Aktion.org

Lass das Verhalten anderer nicht deinen inneren Frieden stören (Dalai Lama)
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