27.02.2014, 17:37
Daten – Fakten- Hintergründe
Kritik an den Gutachtern der Unfallversicherungsträger
Die Gutachter der Unfallversicherungsträger stehen schon seit längerer Zeit in der Kritik, der erforderlichen Neutralität nicht gerecht zu werden und zugunsten der Unfallversicherungsträger sog. Gefälligkeitsgutachten zu erstellen.
Bereits 1990 wurde berichtet, dass Berufsgenossenschaften und Unfallversicherer Einfluss auf die ärztliche Begutachtung nehmen. „Es wird mehr geistige Energie auf die Verneinung von Unfallzusammenhängen, Verringerung von MdE-Prozenten aufgewandt, als für die Interessen von Patienten“.
Die Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften führen Gutachterverzeichnisse. Aus diesen Gutachterverzeichnissen werden den Versicherten entsprechende Gutachter vorgeschlagen, um die rechtlichen Anforderungen zur Auswahl eines Gutachters zu erfüllen. Je nach Berufskrankheit sind Fachärzte der in Betracht kommenden Fachrichtungen gelistet, wobei sich die Anforderungen an die Gutachter unterscheiden. Allgemein ist die Anerkennung als Facharzt sowie die fachliche Befähigung zur BK-Begutachtung erforderlich. In Abständen wird geprüft, ob die im Gutachterverzeichnis geführten Gutachter die Kriterien noch erfüllen. Neben den bei den Berufsgenossenschaften registrierten Gutachtern gibt es noch entsprechend zertifizierte Gutachter der Fachgesellschaften, mit denen die Berufsgenossenschaften meist eng zusammenarbeiten.
Bei Ärzten, die wesentliche Teile ihres Einkommens durch Gutachten bestreiten, besteht ohne Zweifel ein Interessenskonflikt. Gutachter werden zwar aufgefordert, ihre Interessenskonflikte offen zu legen, verpflichtet sind sie dazu nicht. Selbst Richter wissen meist nicht, ob, für wen und in welchem Umfang medizinische Sachverständige Gutachten erstellen oder von wem sie sonstige Zuwendungen erhalten. Seit Jahren fordern deshalb Betroffenenverbände die notwendige Transparenz über Nebeneinkünfte von Gutachtern. Nach fast dreijähriger Beratung hat im Mai 2013 der Petitionsausschuss des Bundestags empfohlen, medizinische Gutachter in Gerichtsprozessen zu überprüfen. Die Bundesregierung sah seinerzeit keine Veranlassung dafür. Eine Pflicht zur Offenlegung gibt es nach aktuellem Stand immer noch nicht.
Besonders schwierig wird es, wenn Gerichte sich auf ein vom Unfallversicherungsträger beauftragtes Gutachten stützen, obwohl der Kläger einen Anspruch auf einen unabhängigen Gutachter hat.
Sind Gutachter neutral?
Referat aus der Zeitschrift Orthopädische Praxis, erschienen in Heft 8, August 1990
http://www.bngm.de/pdf/sind_gutachter_neutral2002.pdf
Empfehlungen der Unfallversicherungsträger zur Begutachtung bei Berufskrankheiten
http://www.dguv.de/medien/landesverbaend...k_empf.pdf
Ärzteblatt: Petitionsausschuss empfiehlt Überprüfung medizinischer Gutachter
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/54...-Gutachter
Die Leitlinie Neuroborreliose
In den Empfehlungen der Unfallversicherungsträger zur Begutachtung bei Berufskrankheiten, abzurufen über die DGUV, werden Kriterien für die Nennung im Gutachterverzeichnis genannt. Spezielle Kriterien für Gutachter bei Borreliose gibt es nicht, Borreliose fällt unter die ‚Sonstigen nichttropischen Infektionskrankheiten’. Unter ‚Persönlichen Voraussetzungen’ wird gelistet: „Facharzt für Innere Medizin mit Tätigkeitsschwerpunkt Infektiologie“. Entgegen diesen Empfehlungen werden bei Borreliose aber immer häufiger Neurologen zur Begutachtung herangezogen.
Empfehlungen der UV-Träger zur Begutachtung bei Berufskrankheiten (PDF, 158 kB
http://www.dguv.de/de/Versicherung/Beruf.../index.jsp
In diesem Zusammenhang verwundert auch das Urteil des OLG München (Urteil vom 17.05.2013 – 25 U 2548/12 8) in einem Rechtsstreit um Versicherungsleistungen wegen Invalidität gegen eine private Unfallversicherung, nach dem den Leitlinien der Deutschen Borreliose Gesellschaft e.V. (DBG) keine entscheidende Bedeutung beigemessen wird. Das Gericht orientiert sich im Wesentlichen an den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und den Ausführungen des Nationalen Referenzzentrums für Borrelien. Es ist äußerst zweifelhaft, ob die Leitlinie Neuroborreliose den aktuellen Stand der wissenschaftlich gesicherten medizinischen Erkenntnisse wiedergibt. Dr. Berghoff, Mitglied der Deutschen Borreliosegesellschaft und erfahrener Gutachter auf diesem Gebiet, hat dazu bereits ausführlich Stellung bezogen.
Dr. Berghoff - Urteile OLG München und OLG Köln aus 2013 zur Problematik der Lyme-Borreliose
http://www.praxis-berghoff.de/dokumente/...s_2013.pdf
Das Gericht verkennt zudem, dass es sich bei der S 1-Leitlinie Neuroborreliose, die im eigentlichen Sinne keine Leitlinie darstellt, um Empfehlungen der niedrigsten Entwicklungsstufe (S1, S2k, S2e, S3) handelt. Der Stellenwert von Leitlinien vor Gericht hängt nicht nur davon ab, ob sie von einer dazu autorisierten Institution herausgegeben wurden, sondern auch inwieweit sie wissenschaftlich fundiert sind und einen Expertenkonsens darstellen. Für eine evidenz- und konsensbasierte Leitlinie bedarf es einen nach einem definierten, transparent gemachten Vorgehen erzielten Konsens multidisziplinärer Expertengruppen unter expliziter Berücksichtung der besten verfügbaren Evidenz. Diese Vorgaben erfüllt die S1-Empfehlung Neuroborreliose in keinster Weise.
AWMF - Klinische Leitlinien und Recht
http://www.egms.de/static/en/journals/aw...0044.shtml
Zu diesem Urteil gibt es auch ein Manifest des Borreliose und FSME Bund Deutschland (BFBD), siehe Download-Bereich
http://www.bfbd.de/de/bund/1.html
Anzumerken wäre noch, dass es sich bei dem Privatgutachter der Unfallversicherung in diesem Prozess (OLG München, Urteil v. 17.05.13, 25 U 2548/12) um Prof. Dr. Pfister handelte, der an der Erstellung der Leitlinie Neuroborreliose mitwirkte. Als Sachverständiger hat er zu prüfen, ob die bestehende Leitlinie auch den Besonderheiten des konkreten Falls gerecht wird. Es ist fraglich, ob ein Leitlinienautor dazu völlig unbefangen urteilen kann. Prof. Dr. Pfister ist zudem nicht nur Leitlinienautor, Gerichtsgutachter und gefragter Gutachter privater Unfallversicherer, er ist zertifizierter Gutachter der DGN mit Schwerpunkt Arzthaftung, Verwaltungsrecht, Berufskrankheiten und Unfallfolgen und tritt auch regelmäßig als Gutachter für bayerische Behörden bei Verfahren zu Dienstunfällen (Beamte) auf. Prof. Dr. Pfister dürfte damit wohl zu den Ärzten zählen, die wesentliche Teile ihres Einkommens durch Gutachten bestreiten. Seine Gutachten fallen erwartungsgemäß selten günstig für Versicherte aus, seine Argumentation ist stets dieselbe (siehe Verwaltungsgericht Bayreuth-Dienstunfall).
Verwaltungsgericht Bayreuth, Urteil vom 29.11.2013, AZ: B 5 K 10.825
http://openjur.de/u/667263.html
Frankenpost: Aus Mangel an Antikörpern
http://www.frankenpost.de/regional/oberf...88,2074718
Statistik
Im Jahr 2012 wurden von der gesetzlichen Unfallversicherung 2306 Verdachtsanzeigen zu „Infektionserreger, Parasiten, Tropenkrankheiten“ geprüft und entschieden. Davon wurden 1044 Verdachtsanzeigen bestätigt (45,3 %), 1262 Verdachtsanzeigen wurden abgelehnt (54,7 %). In lediglich 78 Fällen wurde eine BK-Rente gewährt. Welcher Anteil davon auf Zoonosen entfällt, ist der Statistik nicht zu entnehmen. Genauere Angaben dazu finden sich aber in den Daten und Fakten zu Berufskrankheiten bis zum Jahr 2005.
Im Geschäftsjahr 2005 gab es 1103 Verdachtsanzeigen zu Zoonosen, davon wurden 441 Verdachtsanzeigen bestätigt (40 %), in 43 Fällen wurde eine BK-Rente gewährt.
Der überwiegende Teil der Verdachtsanzeigen kam aus der Landwirtschaft (53,9 %), wo auch die meisten der anerkannten Berufskrankheiten angesiedelt waren (58 %).
Vor allem in der Landwirtschaft sind Zoonosen von Bedeutung. 1995 und 2000 wurden im Durchschnitt rund ein Drittel aller bestätigen Berufskrankheiten von Zoonosen verursacht, 2005 sogar über 42 %. Da die Daten aus der Landwirtschaft für den ausgewerteten Beobachtungszeitraum nicht vollständig vorhanden waren, beziehen sich die weiteren Angaben lediglich auf die Gewerbliche Wirtschaft und den Öffentlichen Dienst, obwohl diese nur knapp die Hälfte der Fälle repräsentieren.
Im Jahr 2005 wurden im Bereich Gewerbliche Wirtschaft und Öffentlicher Dienst 428 Fälle zu Zoonosen entschieden. 174 davon wurden als Berufskrankheit anerkannt (rund 40 %), 13 Fälle erhielten eine BK-Rente (7,5 % der bestätigten BK). Die höchsten Einzelwerte bei den anerkannten Fällen wies die Lyme-Borreliose (25,2 %) auf. Lyme-Borreliose war zudem für fast die Hälfte der BK-Renten ursächlich.
Den 174 bestätigten Fällen (40 %) bei Zoonosen stehen 253 nicht bestätigte Fälle (60 %) gegenüber. Bei den meisten der abgelehnten Verdachtsanzeigen (38.7 %) war erkennbar, dass kein Anspruch besteht. Die Anträge wurden ohne Ermittlungen in Absprache mit den Versicherten an andere Versicherungsträger (Rentenversicherung/Krankenkasse) weitergeleitet. In 34,8 % der Fälle blieb die Arbeitsanamnese ohne greifbares Ergebnis, was den möglichen Kontakt zum Krankheitserreger anbelangt. Bei 8,7 % hätte zwar die Möglichkeit des Erwerbs einer Zoonose bei der Arbeit bestanden, die Verdachtsdiagnose ließ sich nach ärztlicher Beurteilung aber nicht bestätigen. In 13,4 % der Fälle konnte von einer krankheitstypischen Gefährdung am Arbeitsplatz ausgegangen werden und auch das typische Krankheitsbild lag vor, die arbeitsmedizinische Beurteilung (Gutachten) ergab jedoch, dass die Infektion außerhalb der beruflichen Tätigkeit eingetreten war. 3,6 % der abgelehnten Anträge betraf Fälle, bei denen der Versicherte trotz Belehrung seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist. Bei den restlichen 0,8 % handelte es sich um nicht versicherte Personen.
Betrachtet man den Verlauf der Geschäftsjahre 1980 bis 2005, hat sich der Anteil der Zoonosen bei den BK-Anzeigen insgesamt glatt verdoppelt. Berücksichtigen muss man allerdings den Rückgang der Gesamtmeldungen von 2000 bis 2005. Auch die BK-Renten wiesen bei Zoonosen eine steigende Tendenz auf, allerdings lag die Anzahl der berenteten Zoonosen deutlich unter den Anteilen der angezeigten Verdachtsfälle und auch unter den Anteilen der anerkannten Berufskrankheiten. Die DGUV sieht das als Nachweis, dass Krankheitsbilder mit nachhaltigen BK-Folgen bei Zoonosen immer seltener vorkommen.
Zusammenfassend sind die statistischen Kennzahlen der Zoonosen angestiegen, wobei der Schweregrad der Erkrankungen abnehmende Tendenz aufweist. Ob sich die in diesen Jahren zu beobachtende Steigerung der Fallzahlen bei den Zoonosen fortsetzen wird, wird zum Teil davon abhängen, ob die Lyme-Borreliosen eingegrenzt werden können - resümierte die DGUV.
DGUV-Statistik für die Praxis 2012 (S. 56)
http://www.dguv.de/medien/inhalt/zahlen/...n2012d.pdf
Daten und Fakten zu Berufskrankheiten – Geschäftsjahr 2005
Lärmschwerhörigkeit – Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten (S. 107, S 121/122)
http://www.dguv.de/medien/inhalt/zahlen/...en2008.pdf
Kooperation zwischen DGUV und den medizinischen Fachgesellschaften
Für die Beurteilung möglicher Zusammenhänge aus arbeitsmedizinischer Sicht gab es bis 2010 Merkblätter zu den Berufskrankheiten, herausgegeben vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Diese Merkblätter enthielten Angaben zum Erreger, der Inkubationszeit, dem Trägertier, dem Infektionsweg und dem Krankheitsbild. An diese Merkmale sollte die Kausalitätsprüfung des Unfallversicherungsträgers anknüpfen.
In den Merkblättern wurden die häufigsten beobachteten Krankheiten innerhalb der Erregergruppe benannt. Im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 3102 „Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten“ wurde auch die Lyme-Borreliose aufgeführt, bei der nach Angaben in diesem Merkblatt besonders Komplikationen und Dauerschäden auftreten können. Das Krankheitsbild wurde umschrieben mit: Erythema migrans (Wanderröte), wandernde Arthralgien, Herzbeschwerden, Magen-Darm-Symptome, Lymphadenosis, Arthritis, Akrodermatitis chronica atrophicans, Enzephalomyelitis, Bannwarth-Syndrom (Meningoradikulitis) und transplazentare Infektion.
Die Erstellung und Aktualisierung dieser Merkblätter wurde 2010 eingestellt. Begründet wurde das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales damit, dass diese Merkblätter, die lediglich als Hilfsmittel gedacht waren, ungewollt zunehmende Bedeutung für das berufskrankheitenrechtliche Anerkennungsverfahren erlangten. Die Anwendung des Berufskrankheitenrechts im Einzelfall sei nicht Aufgabe des Ministeriums, sondern der Unfallversicherer und Sozialgerichte. Diese Merkblätter waren ursprünglich dafür gedacht, überflüssige Meldungen zu vermeiden. Zunehmend nutzten dann aber auch Betroffene diese Merkblätter zur Durchsetzung Ihrer Ansprüche.
Merkblätter Berufskrankheiten
http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Ber...etter.html
Den Merkblättern folgten Begutachtungsempfehlungen. Für die Erarbeitung dieser Begutachtungsempfehlungen wurden von der DGVU in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) und Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM) sowie der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) Gemeinsame Empfehlungen erarbeitet. An der Erarbeitung dieser Empfehlungen wirkten 3 Vertreter der DGUV und jeweils 1 Vertreter der anderen Institutionen mit.
Gemeinsame Empfehlung zur Entwicklung von Leitlinien und Empfehlungen zur Begutachtung von Berufskrankheiten
http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10...k_2009.pdf
Die Begutachtung von Berufskrankheiten gehört zu den Aufgaben der Fachärzte der jeweils zuständigen Fachgebiete, hierfür werden von der AWMF Leitlinien für die Begutachtung erstellt. DGUV und Fachgesellschaft stimmen das Vorgehen ab, insbesondere welche Fachgesellschaften federführend und welche Organisationen zu beteiligen sind. Die DGUV ist angemessen und mit Stimmrecht zu beteiligen. Mit den Begutachtungs-Leitlinien sollen medizinischen Gutachtern Empfehlungen insbesondere zu Diagnostik, Kausalitätsbeurteilung und Bemessung der Minderung der Erwerbsunfähigkeit an die Hand gegeben werden.
Danach folgt die Begutachtungsempfehlung der DGUV zu juristischen und medizin-juristischen Fragen unter Verantwortung der DGUV. Medizinische Begutachtungsleitlinien und Begutachtungsempfehlungen der DGUV bilden eine inhaltlich aufeinander abgestimmte Einheit. Leitlinien sind keine verbindlichen Rechtsnormen, die DGUV strebt jedoch an, dass diese Empfehlungen in der Praxis der Unfallversicherungsträger, der Sozialgerichte und Gutachter gleichmäßig anerkannt und angewandt werden. Gerichte sollen mit Hilfe der Leitlinien die erstatteten Gutachten auf ihre Plausibilität prüfen können. Abweichungen von diesen Empfehlungen erfordern eine Begründung sowie eine Auseinandersetzung mit den Leitlinien.
Die DGUV, Unfallversicherungs- und Kostenträger, hat also erheblichen Einfluss auch auf medizinische Fragen. Leitlinien, damit Gutachter die gewünschten Ergebnisse liefern?
DGUV - Begutachtungsempfehlungen
http://www.dguv.de/de/Versicherung/Beruf.../index.jsp
Gemeinsame Empfehlung zur Entwicklung von Leitlinien und Empfehlungen zur Begutachtung von Berufskrankheiten
http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10...k_2009.pdf