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13.11.2016, 09:29
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 13.11.2016, 09:37 von
Valtuille.)
Ich weiß natürlich, dass Markus reflektiert genug ist, um zu wissen, dass das nicht übertragen werden kann. Aber nicht alle sind schon so lange dabei und können das einschätzen.
Ich spreche hier aus Erfahrung, weil ich schon so einiges mitgekriegt habe (sowohl von Ärzten, als auch von Patienten), weshalb ich lieber einmal zu oft als zu wenig daran erinnere. Und ich selbst hab auch schon so einiges an (meist harmlosen) Quatsch ausprobiert in den letzten 9 Jahren (ein Heilpraktikerbesuch ist vor Jahren mal zu einer Geisteraustreibung geworden).
Das Problem ist ja, das man ohne Evaluation keine Chance hat zu sagen, was die bestmögliche Therapie ist. Was dem einen hilft, hilft dem anderen aber nicht unbedingt. Ich hab damals auch euphorisch Samento und Banderol probiert, wie viele andere auch. Bis heute noch keine Wunderheilungen gesehen, außer vielleicht beim Geldbeutel des Herstellers.
Ansonsten ist in der Medizin ja jede Therapie im Ergebnis offen, kein Arzt kann voraussagen, ob eine Therapie wirken wird oder nicht, weil viel zu viele Variablen mitreinspielen (und die ist man jetzt erst so langsam dabei zu identifizieren). Wer anderes behauptet, ist unseriös.
Daher finde ich eine Evaluation nicht verkehrt, beachten muss man natürlich, dass weiterhin gilt, dass der individuelle Verlauf nicht vorhergesagt werden kann. Deswegen sind Leitlinien auch nur Hilfsmittel, von denen ein Arzt im individuellen Fall auch mal abweichen muss. Wenn es zu einem Thema (aus welchen Gründen auch immer) keine Studien gibt, kann das auch nicht berücksichtigt werden.
Da stehen aber alle in der Verantwortung… Vernünftige Evaluationen der zellulären Tests, die seit über 10 Jahren angeboten werden und Patienten selbst zahlen müssen, sind bislang nicht erfolgt.
Viele Ärzte berichten von bestimmten Erfahrungen, aber wie glaubhaft sind diese?
Gerade bei der Praxis hab ich schon einiges mitgekriegt, was absolut erschreckend war und nicht im Sinne der Patienten bei normalen Ärzten.
Jeder Arzt hat schon eine gewisse Vorannahme und rückt gerne sein Bild etwas zurecht. Wenn ein Patient nicht mehr kommt, wird selten weiterverfolgt und oft geht man davon aus, dass die Therapie erfolgreich war… Manchmal ist das ein Trugschluss.
Die Empfehlungen von ILADS und DBG sind bislang reine Expertenmeinungen, zu denen es keine kontrollierten Studien gibt. Bei den offiziellen Empfehlungen gibt es zwar kontrollierte Studien zu einigen Manifestationen (vor allem EM), jedoch sind die auch nur bedingt aussagekräftig (bei anderen Infektionen gibt’s aber noch nicht mal das) bzw. auf andere Manifestationen übertragbar. Eine einzelne Studie belegt natürlich nichts, solang sie nicht durch Andere reproduzierbar ist.
Entscheidender als statistische Modelle (Meta-Analysen sind bei Borreliose eher Mangelware und in der Medizin werden oft gängige einfache Hypothesentests verwendet) ist das Studiendesign.
Meist beginnt die Schwierigkeit schon bei der Selektion der Patienten.
Die Patientenselektion mit sehr unterschiedlichen Selektionskriterien bzw. Operationalisierungen (auch historisch bedingt) ist dabei einer der Gründe, weshalb es zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen ist oder immer noch kommt. Abgesehen natürlich von einer normalen Heterogenität bei Patienten und unterschiedlichen Stichprobengrößen, die in der Medizin ja meistens recht gering ausfallen (und nach Bernoulli macht es das auch nicht einfacher).
Wenn gängige Therapien versagen, ist man derzeit ziemlich ratlos. Ich habe in 6 Jahren zu verschiedenen Therapien positive und negative Erfahrungsberichte zu allen möglichen Ansätzen gehört (und selbst so manches ausprobiert) und schließe mich da Buhner an, wenn er sagt, dass es nicht den einen Weg gibt, sondern es individuell völlig unterschiedlich sein kann.
Entscheidend ist, dass in den seltensten Fällen die Diagnose überhaupt auf sicheren Beinen steht (if your culture‘s been positive clap your hands…) und auch das muss berücksichtigt werden.
Ein positiver Antikörper-Test (oder zellulärer Test) alleine sagt nichts über die Diagnose aus, aus Gründen der Statistik wie Katie richtig erwähnt hat (Bayes). Und da ist man wieder bei der Symptomatik der Patienten. Wie Brian Fallon sagt, ist es hier wahnsinnig schwierig zu sagen, wer Borreliose hat, wenn die klassischen Symptome nicht da sind. Wenn die Therapie nichts bringt (und ich spreche jetzt nicht von 2 Wochen Doxy 100mg), sollte man auch die Diagnose hinterfragen.
Von allen Seiten muss mehr Offenheit vorhanden sein. Kein dogmatisches Festhalten an ineffektiven Therapien, fragwürdigen Tests oder Diagnosen.
In den USA passiert hier inzwischen recht viel. Ob und wann im individuellen Fall davon profitiert werden kann, ist natürlich noch völlig offen. Aber das Problem lässt sich leider für Patienten in naher Zukunft nicht lösen...
Es wäre aber schön, wenn auch in Europa eine Annäherung stattfindet und sich eine fehlende Mitte bildet.
Die alten Hasen auf beiden Seiten sind in ihrer Meinung meiner Erfahrung nach häufig ziemlich festgefahren mit ihren dogmatischen Ansichten und nicht wirklich offen für Neues (oder Belege, die ihren Ansichten widersprechen).
Bei den Forschern, die seit kurzem dazu gekommen sind, sieht man jedoch eine neutrale Offenheit, die es auch braucht, um eine Veränderung und Verbesserung zu erreichen.
Ein Lyme 2.0, wo man bei 0 anfängt und schaut, was tatsächlich bei den Patienten los ist (jenseits von Syndrom XY oder psychosomatisch), wäre auch nicht verkehrt. Ich denke, dass man viel von einigen Patientenverläufen lernen kann, man muss es nur wollen.
Und in den USA schaut man ja auch gerade nach neuen Erregern in Zecken und hat einige neue Viren entdeckt, die jüngsten Berichte von Burgdorfers Forschungen sollte man auch im Hinterkopf behalten…
@ Markus:
Zu Peronnes Bemühungen kann ich natürlich nichts sagen. Heutzutage gibt es aber in solchen Fällen immer die Möglichkeit, trotzdem zu veröffentlichen (macht ILADS ja auch).
Zufällig weiß ich von einem Fall der offiziellen Seite, wo eine Publikation auch überall abgelehnt wurde. Auch hier kann ich nicht viel dazu sagen.
Fördergelder sind leider immer knapp in Europa… vielleicht entstehen hier auch Fördertöpfe für Borreliose wie in den USA. John Caudwell plant ja aber derzeit was in die Richtung.
Was den Status Quo angeht, so stimme ich dir nur bedingt zu. Es gibt auf beiden Seiten Leute, denen das ganz sicher nicht gut reinläuft. Missbraucht wird auch bei ILADS ziemlich ordentlich…
Ebenso gibt es Leute, die prächtig daran verdienen, die sind aber auch in der anderen Ecke zu finden. Privatkliniken und Speziallabore braucht man dann vermutlich nicht mehr in diesem Ausmaß (Patientenzahlen im 5-stelligen Bereich, die jeweils 4 bis 5-stellige Beträge liegen lassen… do the maths). Ebenso wenig kann man dann fragwürdige Therapien für mehrere Tausend € an Patienten verkaufen, die das in ihrer Verzweiflung selbst bezahlen. Einige US Patienten, die bei bekannten LLMDs waren, fliegen nach Deutschland um sich hier von Heilpraktikern behandeln zu lassen… Teilweise mit Erfolg angeblich. Aber wie stark kann man diesen Berichten trauen (Nachwirkung vorheriger Therapien?)?
Daher glaube ich die angeblichen 95-100 % Erfolgsquote erst dann, wenn ich da auch eine vernünftige externe Evaluation sehe (für mich hat sich kein Behandler noch interessiert, wenn ich kein zahlender Kunde mehr war) oder ich mehr Erfolgsgeschichten als Misserfolgsgeschichten sehe.
Dein Bild ist sehr stark von ILADS und co. geprägt, meine ich (vielleicht tue ich dir da auch Unrecht). Wenn man die eigenen emotionalen Erfahrungen ablegt und sich intensiver mit der Gegenseite beschäftigt, kommt man auch zu dem Schluss, dass die auch ganz gute Argumente haben. Wenn ich nur die Datenlage betrachten würde, sehe ich persönlich mehr von der IDSA als ILADS (mit vielen offenen Fragen), was natürlich auch daran liegt, dass ILADS nur einen (komplizierten) Ausschnitt aus der Grundgesamtheit sehen (und das nicht berücksichtigen, sondern diesen kleinen Ausschnitt zur Regel machen). Reproduzierbare Beweise für ihre Ansichten haben ILADS bis heute nicht geliefert, z. B. ist einer der „Top-ILADS-Forscher“ jemand, der wegen wissenschaftlichem Fehlverhalten (Datenmanipulation) von der Uni geflogen und von Fördergeldern ausgeschlossen wurde. Dennoch haben seine teils sehr fragwürdigen Arbeiten ziemliches Gewicht in der Borrelioseszene.
@Linus:
Ich wäre mir nicht so sicher, dass hier keine Forscher oder Ärzte mitlesen…
@ Minos75
Den Erfolg hab ich persönlich nicht so beobachten können, bzw. lässt sich der auch nicht mit den erfolgten in vitro Studien zu round body Formen erklären, so wie Tinidazol in der Regel verordnet wird.
Da es meist in Kombination gegeben wird, wie du ja erwähnst, ist es auch kaum möglich zu sagen, ob Tini im individuellen Fall irgendwas gebracht hat. Falls das der Fall sein sollte, ist es meiner Meinung nach fast wahrscheinlicher, dass Tinidazol auf andere Erreger als auf Borrelien gewirkt hat.
Bei Hydroxychloroquin ging man vor Jahren auch immer davon aus, dass das richtig gut wirkt aufgrund von in vitro Studien oder Theorien zur Immunmodulation. Es war in den Niederlanden (in Kombination mit Clari) nach Standardtherapie mit Ceftriaxon dem Placebo nicht überlegen (wo man wieder differenzieren müsste: Vielleicht würde es bei Patienten mit therapierefraktärer Lyme-Arthritis wirklich was bringen).
Ich habe aber auch schon einige Horrorstories mitgekriegt, z. B. dass im Frühstadium bei EM Tinidazol mono verschrieben wurde, was überhaupt nicht richtig wirken kann, da Tinidazol keine Wirkung auf Borrelien (in ihrer Spirochätenform) hat.
Daher bin ich da lieber vorsichtig, siehe der Anfang des zu langen Posts.
The elm, the ash and the linden tree
The dark and deep, enchanted sea
The trembling moon and the stars unfurled
There she goes, my beautiful world