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Ich habe ein sehr ungutes Gefühl, was die weitere Entwicklung bei der ärztlichen Versorgung der Borreliosepatienten angeht.
Ich bekomme folgendes mit:
Von den seriösen Spezialisten, die nach den Leitlinien der DBG therapieren, ohne teure Alternativverfahren, deren Wirkung stark umstritten ist und die vor allem im Wissen um die existentiell schwierige Situation ihrer Patienten angemessene Preise verlangen und versuchen, die Therapieren so kostengünstig wie möglich umzusetzen, sind viele im höheren Alter und einige sind schon in Rente gegangen, wieder andere arbeiten über das Rentenalter hinaus im Wissen, dass ohne sie eine große Versorungslücke entstehen würde.
Überdurchschnittlich häufig (habe ich zumindest das Gefühl) sind das die Spezialisten, die durch ihre Bereitschaft zur langfristigen Behandlung von Patienten mit chronischer Borreliose selbst in große finanzielle Bedrängnisse gekommen sind durch Regressforderungen teilweise im hohen sechsstelligen Bereich. Viele Patienten wissen nicht, dass auch für unsere Behandler existentiell bedrohliche Situationen entstehen können, weil sie ihren schwer kranken Patienten Therapien auf Kassenrezept ermöglichen wollen.
In all diesen Fällen geht es darum, Patienten unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten Therapieren auf Kassenrezept zu verordnen.
Viele dieser Spezialisten mussten aufgrund der Umstände (Regressforderungen bei Überschreitung des Budgets) dazu übergehen, überwiegend oder komplett privat abzurechnen.
Nach meinem Gefühl werden diese Spezialisten immer weniger und es kommt kein adäquater "Nachwuchs" nach. Dies überrascht wohl eher wenig, denn die Arbeitsbedingungen werden für Ärzte ja allgemein nicht attraktiver und sich auf die Behandlung von chronisch kranken Borreliosepatienten zu spezialisieren, würde für den einzelnen Arzt nur Nachteile für sich ziehen (finanziell, aber auch Ächtung durch Kollegen und Anfeindungen). Es ist wohl kein Zufall, dass viele Ärzte wegen der persönlichen Betroffenheit (durch eigene Krankheit oder betroffene Angehörige) diesen für sie nicht nutzbringenden Weg auf sich nehmen.
Dann gibt es einen weiteren Markt, der nach meinem Gefühl zunimmt. Hier tummeln sich Privatärzte oder Kassenärzte, die (fast) ausschließlich privat abrechnen, die alternative Behandlungsverfahren anpreisen, für die es keine Effektivitätsnachweise gibt und nicht den Expertenmeinungen der DBG-/ILADS-Leitlinien folgen.
Dass es einen alternativen "Markt" mit alternativen Behandlungsmethoden gibt, die privat abgerechnet werden, ist ja nicht ungewöhnlich. Für die Borreliosepatienten besteht die prekäre Situation aber darin, dass kein Recht auf eine schulmedizinische Versorgung besteht und verzweifelte Patienten sich in der Situation sehen, auf diese alternativen Behandlungsmethoden zurückgreifen zu müssen, da sie ansonsten gar keine Behandlung bekommen.
In diesem Moment entsteht der Verdacht der "Abzockerei", da im Gegensatz zu anderen Krankheitsbildern, bei denen das Anrecht auf eine schulmedizinische Behandlung besteht, die Borreliosepatienten in einer absolut verzweifelten Lage sind und aus dieser Situation heraus zweifelhafte Behandlungsangebote wahrnehmen.
Bei diesen Behandlern entsteht zuweilen der Eindruck, dass sie die chronische Borreliose als eine sehr einträgliche Geldquelle entdeckt haben. Im Gegensatz zu den Spezialisten der ersten Gruppe (s.o.) entsteht diesen Behandlern durch die rein private Abrechnung auch kein eigener Nachteil.
Was ich befürchte:
Dass die seriösen Behandler in der ersten Gruppe immer weniger werden, es aufgrund der aktuellen Situation im Gesundheitssystem auch kaum "Nachwuchs" entsteht und damit seriöse Behandlung und natürlich auch Forschung immer weniger möglich werden.
Dass die Behandler in der zweiten Gruppe mehr werden und sich dadurch in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild einer Pseudomodeerkrankung mit nicht ernstzunehmenden Behandlungsmethoden verfestigt und sich die Diskussion verschiebt - vom eigentlichen Problem der völlig unzureichenden Versorgung der Patienten hin zum vermeintlichen Problem der "Abzockerei" von Borreliosepatienten, wie zuletzt in der medialen Aufbereitung geschehen. Durch eine Verschiebung der Diskussion entsteht ein neues Feindbild (die Abzocker) und die Situation verbessert sich nicht, da das eigentliche Problem (die völlig unzureichende Versorgung der Patienten und die Nichtanerkennung der Krankheit durch die offiziell zuständigen Stellen und damit verbunden die Unterlassung an Forschungsbemühungen) aus dem Blickfeld gerät.
Was kann man tun?
Bei aller Verzweiflung und Fassungslosigkeit über die Situation chronisch kranker Borreliosepatienten sollte man folgendes nicht vergessen:
Wir haben uns. Und wir haben dieses Forum, das vom Verein OnLyme bereitgestellt wird, damit sich Betroffene austauschen, beraten und unterstützen können - auf einem konstruktiven und sehr hohen Niveau, wie ich finde. Dieses Forum gibt unter anderem die Möglichkeit, sich zu Ärzten auszutauschen (per PN) - sowohl über gute, als auch über schlechte Erfahrungen. Das ist eine fantastische Möglichkeit, die es ohne das Forum nicht gäbe! Deswegen möchte ich mich meinen Vorrednern anschließen und ich wünsche mir sehr, dass dieser Austausch noch mehr genutzt wird. Man kann ja beispielsweise auch posten "Biete per PN Erfahrungen zu Ärzten rund um Köln" oder man meldet sich auf Gesuche und beschreibt die eigenen Erfahrungen.
Damit haben wir Einfluss, wie sich die Ärztelandschaft entwickelt - ob seriöse Ärzte, die ohne Eigeninteresse ihre Patienten bestmöglich versorgen (was natürlich auch gewisse, aber überschaubare Privatzahlungen enthalten kann, ja sogar muss) und dabei auch persönliche Nachteile in Kauf nehmen, unterstützt werden. Oder ob Ärzte mit dubiosen Absichten und unwissenschaftlichen Behandlungsmethoden weiter Zulauf erhalten.
Es liegt auch in unserer Hand!
Auch wenn unsere Situation sehr schwierig ist, haben wir die Möglichkeit, uns hier im vom Verein betriebenen Forum auszutauschen - das ist keine Selbstverständlichkeit und wir sollten diese Möglichkeit wertschätzen und nutzen!
Und wir haben die Möglichkeit, uns zusammenzutun und immer wieder auf die katastrophalen Zustände hinzuweisen - solange bis sich etwas verbessert.
Solange, bis jede/r Borreliosepatient/in unabhängig seiner finanziellen Möglichkeiten das Anrecht auf eine angemessene Behandlung hat. Solange, bis intensive Forschungsbemühungen endlich zu effektiven Diagnose- und Therapiemöglichkeiten führen. Solange, bis Patienten und behandelnde Ärzte keine Nachteile mehr fürchten müssen, die Existenz unserer Krankheit nicht mehr geleugnet und unsere Krankheit endlich ernstgenommen wird!
Werde auch du Mitglied bei OnLyme - ich bin dabei: http://www.onlyme-aktion.org
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen.
Den Vorhang zu und alle Fragen offen
(Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan)